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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Sylvia und Happe waren im Anmarsch, sollte er sie
     besser heute noch anrufen und ihr sagen, was letzte Nacht geschehen war? Er verschob die Entscheidung und griff wieder nach
     Saramagos Roman von den Sehenden. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus Gedanken.
    Es folgten neue Anweisungen, er sollte mit dem Bus wieder zu den Cais fahren und dort in die Straßenbahn nach Belém zum Jeronimo-Kloster
     fahren. Kein Taxi diesmal! Aber Nicolas kam nicht nach Belém. Bereits im Bus sprach ihn ein Unbekannter an und bat ihn, an
     der Praça Camões auszusteigen und ihm zu folgen. Er ging die Straße hinunter, die er am Vortag heraufgekommen war, und folgte
     dem Unbekannten in einen sehr großen Buchladen.
    Der Mann vom Nebentisch des »La Palmeira« wartete vor dem Regal für portugiesische Geschichte. Er stellte |301| ohne den Ausdruck des Wiedererkennens ein Buch zurück, bedeutete Nicolas, zu schweigen und ihm zu folgen, während der Mann,
     der ihn hergebracht hatte, verschwand. Sie verließen die Buchhandlung durch den Notausgang, eilten die Treppe hinunter zur
     Tiefgarage und setzten sich in den Fond eines Wagens.
    »Herzlich willkommen in Lissabon,
seja bem vindo
, ich bin Otelo.«
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte Nicolas scharf. »Was soll dieses idiotische Versteckspiel?«, fragte er auf Portugiesisch.
     Seine portugiesische Übersetzung ließ Otelo schmunzeln. »
Para que esse teatro
? Wer sind diese Leute, weshalb darf ich kein Taxi nehmen?«
    »Es gefällt mir, dass du unserer Sprache bereits mächtig bist, aber wir müssen weiter.«
    Der Fremde aus der Straßenbahn tauchte wieder auf, setzte sich hinters Steuer und fuhr los. »Du fragst, was das soll? Das
     verstehe ich gut«, meinte Otelo ernst. »Ich muss mich vorsehen, damit es mir nicht so geht wie dir. Du hast Glück gehabt.
     Du hättest dir auf der Treppe das Genick brechen können. Aber ich konnte nicht eingreifen.«
    »Sie müssen das auch nicht, Senhor Otelo, ich kann allein auf mich aufpassen.«
    »Das hat man gestern gesehen. Du hast gut reagiert, sonst wärst du heute vielleicht tot oder ein im Tejo ertrunkener Tourist.
     Ich darf dir noch nicht alles sagen, doch das Wichtigste zuerst. Wir fahren jetzt dahin, wo wir uns in Ruhe unterhalten können.
     Ich werde dir einiges erklären, und in drei Tagen komme ich an den Rio Douro nach. Ich habe nach Friedrichs Tod eine Drohung
     erhalten und musste herausfinden, was dahintersteckt. Die Dinge liegen nie so einfach, wie man glaubt. Außerdem wollte ich
     wissen, ob man sich auf dich verlassen kann . . .«
    »Dazu haben Sie fast zwei Monate gebraucht?«, fragte Nicolas.
    |302| »Manchmal dauert es länger. Jetzt weiß ich: Du kannst mit mir rechnen, ich stehe dir und der Quinta weiter als
provador
zur Verfügung, aber nur, wenn du Fredericos Arbeit fortsetzt. Willst du das?«
    »Sonst wäre ich wohl kaum hier.« Nicolas war noch immer wütend. »Aber ich arbeite auf meine Art.«
    »Das will ich hoffen.«
    Der Fahrer fuhr wieder in ein Parkhaus, die Tür des Wagens neben ihnen wurde geöffnet, und sie wechselten in ein anderes Fahrzeug,
     das sofort das Parkhaus wieder verließ. Auf der Straße nickte Otelo. »Es geht nicht um dich, na, in gewisser Weise schon,
     es geht mehr um mich. Aber ich weiß noch nicht alles.« Er blickte sich um. »So, jetzt können wir uns entspannen.«
    Die Fahrt bis in ein Neubauviertel am Stadtrand legten sie schweigend zurück, fuhren in eine Tiefgarage und dann mit dem Lift
     in den achten Stock. Eine Frau, an deren Schürze sich ein kleines Mädchen festklammerte, öffnete eine Wohnungstür.
    »Olivia, meine Nichte, die Tochter meiner Schwester. Und ihr Enkelkind.« Otelo nahm das Mädchen auf den Arm, das mit den Händen
     über die Stoppeln seines Haarkranzes fuhr, und ging voraus ins Wohnzimmer. Es war schlicht und modern eingerichtet. Alle Möbel
     und Lampenschirme waren in Sand- und Erdfarben gehalten. Es war ein Raum mit einer modernen städtischen Atmosphäre. Die große
     Längswand war von einem übervollen Bücherregal bedeckt. Nicolas trat ans Fenster und sah hinaus auf den Stadtteil, den man
     im letzten Jahrzehnt aus dem Boden gestampft hatte. Hier passte die Metapher.
    Otelo wies auf die bequemen Sessel. »Es gibt viele Fragen zu klären. Wir haben den ganzen Tag dafür Zeit, selbstverständlich
     nur, wenn du willst.« Er lächelte. »Ich hoffe, dass du nicht böse bist. Es ging nicht anders. Ich hatte keine andere Möglichkeit.
     Versprich mir, dass

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