Der Portwein-Erbe
offen und freundlich, sehr mitteilsam, andererseits
verschlossen und zurückgenommen. Er konnte gut für sich sein. Das Leben, das er hier führte, war eine Art Kompromiss, glaube
ich. Er hat nicht erreicht, was er wollte, er hat begriffen, dass das nicht möglich war ... Er hatte so viele Gesichter. Er
war Unternehmer, Geschäftsmann, er war Gärtner, und er war Träumer, träumte von einer besseren Welt, die Träume seiner Jugend.
Seine Angestellten hätte er am liebsten zu Teilhabern gemacht. Das wollten sie nicht, denn dann hätten sie die Verluste mittragen
müssen, das war eine Bedingung. In einer anderen Situation hätte ich ihn mir als Robespierre vorstellen können, radikal und
gnadenlos, mal der eine oder der andere, mal alle zugleich, das war seine schwierige Persönlichkeit.«
Nach Perúss zu fragen und danach, was den Hund so scheu gemacht hatte, war sicherlich in diesem Moment nicht angebracht.
»Frederico –«, Dona Madalena sah leer vor sich hin, »man wusste nie, auf was für Ideen er kam. Ich bin eben ein Sponti, das
waren seine Worte. Spontis nannte man die Revoluzzer wohl damals in den Siebzigerjahren bei euch in Deutschland? Er nannte
sich einen Sponti, und als Chaoten bezeichnete er sich besonders gern. Irgendwo müssen die Fotos von damals sein. Er hat sie
in der Bibliothek aufbewahrt. Wir könnten mal zusammen suchen. Ich möchte die Bilder auch gern sehen, vielleicht versteht
man heute, mit dem nötigen Abstand, wer er war. Aus seiner Bibliothek hat er immer ein Geheimnis gemacht. Du hast doch den
Schlüssel?«
Nicolas nickte. »Auf die Fotos wäre ich auch gespannt, das war alles vor meiner Geburt.« In seinem Gedächtnis blitzte kurz
die Erinnerung an das Foto in der Kanzlei des Berliner Anwalts auf. »Ich habe bislang keine Fotos gefunden. |217| Seine Plattensammlung allerdings ist phänomenal. Kennen Sie die Platten?«
Dona Madalena lächelte. »Das ist nicht mein Geschmack. Ich liebe klassischen brasilianischen Samba, Tom Jobim, wenn dir das
was sagt, ›The Girl of Ipanema‹, und dann Chico Buarque oder Beth Carvalho ... und besonders Tango, Piazzolla, den Meister,
da bin ich anspruchsvoll, das sage ich ehrlich. Ja«, sie seufzte, »zurück zu Frederico. Wie er war? Ein Tänzer war er nicht,
das sind die wenigsten Männer, aber sonst, als Mann? Ich konnte gut mit ihm hier leben. Das ist viel. Er respektierte mich
immer, manchmal war ich deshalb sogar ein wenig unsicher«, sie zögerte und senkte die Stimme, »ob es nicht Gleichgültigkeit
war. Er war viel mit sich selbst beschäftigt und mit den Büchern. Politik interessierte ihn, der Wein war seine Leidenschaft,
eine späte, so wie die unsere.« Das klang bitter, wie von einer Frau, die sich vernachlässigt gefühlt hatte. »Seine Leute,
die Arbeiter und Angestellten«, fuhr sie fort, »die behandelte er gut, viel zu gut, wie ich meine. Er erinnerte mich an den
Typ des Patrón, wie wir sagen, der von seinen Mitarbeitern viel verlangt, sehr viel sogar, aber der auch für sie da ist –
und für ihre Familien. Wer mitmachte und sich einsetzte, der durfte sich vieles erlauben.«
Das passte kaum zu dem Bild, das sich Nicolas hier zeigte, nicht zu dem verschwundenen
provador
und den entlassenen Arbeitern und der Situation des sich Belauerns, wie er es empfand. »Und Senhor Otelo?«
»Der?« Dona Madalena lehnte sich zurück und starrte Nicolas an. »Die beiden kannten sich aus den Wirren der Revolution von
1974, der Nelkenrevolution. Du weißt, damals putschte das Militär, sie waren kriegsmüde, sie wollten Demokratie, wollten Portugal
modernisieren, wollten den Sozialismus, Kommunismus, wollten die Volksherrschaft, die Rätedemokratie, und sie wollten die
Kirche abschaffen. Alles wollten sie abschaffen, aber gute Ideen |218| hatten sie nicht, außer dass sie pausenlos Kongresse abhielten. Otelo und er haben sich irgendwo bei einer Straßenschlacht
kennengelernt.« In ihrer Stimme lag Verachtung. »Dieser Otelo – ehrlich gesagt, ich mochte ihn nie leiden – stammt von hier,
seine Eltern waren kleine Leute. Er hat bereits damals agitiert, wurde von der Polizei gesucht und ist untergetaucht, bis
er deinen Onkel traf. Die beiden haben in einer Kooperative im Alentejo gearbeitet, wie Frederico mir erzählte, da hat er
mit dem Wein angefangen. Vielmehr dein Onkel hat gearbeitet, und Otelo hat Propaganda gemacht. Der hat auch hier das große
Wort geführt, ist
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