Der Portwein-Erbe
drüber, die Fähigkeiten hast, sein Weingut weiterzuführen. Es
ist eine große Aufgabe, es hängt viel davon ab. Menschen sind auf dich angewiesen, Familien leben davon, unsere Kunden im
In und Ausland. Vielen gegenüber bestehen Verpflichtungen. Du hast Verantwortung übernommen. Ich hoffe, du bist dir dessen
bewusst. Na, ein Hollmann wird es schaffen.« Sie setzte ein Lächeln auf.
»Wenn so viel davon abhängt, weshalb werfen sie mir dann Knüppel zwischen die Beine, statt mich zu unterstützen?« Die Frage
kam zu heftig, bislang hatte Nicolas niemandem gezeigt, wie sehr es ihn belastete, und erst jetzt |214| erinnerte er sich an den Traum, in dem jemand gekommen war und ihm gesagt hatte, dass alle Fässer leer seien, da er selbst
den Portwein abgelassen habe, der jetzt den Berg hinunterfloss, woraufhin der Inspektor des Portweininstituts ihm eine Strafe
wegen Verschmutzung der Weinberge aufbrummte.
»Das sind die Anfangsschwierigkeiten«, sagte Dona Madalena mit ihrer rauen und doch beruhigenden Stimme. »Außerdem machen
sie ihre Arbeit. Auch wenn du einen anderen Eindruck hast, hab Geduld mit ihnen. Niemand kennt dich, keiner weiß, wer du bist
und was du kannst, und dann platzt du herein und nimmst ihnen ihre Entscheidungen weg. Plötzlich gehört die Quinta einem anderen,
der niemals einen Weinstock gepflanzt hat, nicht eine Traube gelesen hat. Für dich mag das der Hauptgewinn in der Lotterie
sein, für die anderen ist es ein Erdbeben. Mir ging es mit Fredericos Arbeitern ähnlich, noch dazu als Frau. Portugal ist
in dieser Beziehung konservativ ... Entschuldige mich bitte.« Sie ging hinaus.
Nicolas sah sich in ihrem Wohnzimmer um. Es war ein großer Raum mit rauen, weiß getünchten Wänden und dunkel gebeizten Tür-
und Fensterrahmen, Kastanie – wie Nicolas annahm. Auch hier gab es einen Kamin, wie unten im Haupthaus waren das Sofa und
die Sessel mit Leder bezogen, aber hier war es Wildleder, weich, bequem und neu. Unten, in seinem Salon, herrschte eine männliche
Atmosphäre, ein angekratztes Junggesellenambiente, und die Möbel waren vor Jahrzehnten angeschafft worden, obwohl Friedrichs
Stil eher schwer und dunkel war und möglicherweise der Einrichtung anderer, rein portugiesischer Quintas entsprach. An den
Wänden hingen hier Bilder moderner Maler, wahrscheinlich hatte Friedrich sie mit heraufgenommen, denn es war Nicolas aufgefallen,
dass an einigen Stellen Bilder fehlten; wo sie gehangen hatten, |215| waren die Wände weißer, es gab übermalte Löcher von den Nägeln. Dafür hatte er einen Blick.
»Ich bin keine Dona Ferreirinha«, sagte sie, als sie zurückkam und Tee servierte. »Vielleicht wäre ich gern eine gewesen.
Der Wein war nie mein Thema.« Sie bemerkte, dass Nicolas nicht wusste, wovon sie sprach. »Dona Antónia Ferreirinha? Eine der
berühmtesten Frauengestalten des Douro. Ihr erster Mann starb relativ früh, und als auch der Vater starb, führte sie zwei
Portweinunternehmen. Sie baute ein Imperium auf, kaufte Weinberge, Kellereien und Lagerhäuser in Gaia und Herrenhäuser in
Lissabon . . .« Dona Madalenas Augen funkelten vor Begeisterung. »Fast wäre sie bei einem Ausflug auf dem Douro in den Stromschnellen
ertrunken. Das Boot des Baron Forrester kenterte. Ihn haben angeblich Goldmünzen in seinen Taschen unter Wasser gezogen. Dona
Ferreirinha wurde durch die Luft unter ihren Röcken gerettet, die wirkten wie Schwimmreifen.«
Über Friedrichs Tod wollte Dona Madalena noch immer nicht sprechen. »Es ist zu schmerzhaft.« Sie erzählte lediglich, dass
er sich am Tag vor seinem Tod unwohl gefühlt habe, müde und schlapp. Er habe sich geweigert, zum Arzt zu gehen, obwohl sie
ihn inständig darum gebeten habe und sich jetzt Vorwürfe mache, dass sie nicht darauf bestanden habe. Aber es sei zwecklos
gewesen, er sei sowieso nie zum Arzt gegangen, auch keine Krebsvorsorge, und das in seinem Alter. Am Vorabend seines Todes
habe er sich für seine Verhältnisse sehr früh hingelegt. Die wenigen Worte, die sie darüber verlor, bewegten sie anscheinend
so sehr, dass sie aufstand und schweigend im Raum auf und ab ging.
Dann blieb sie stehen und sah Nicolas an. »Du bist nicht gekommen, um dir etwas vorjammern zu lassen, außerdem hattest du
ein anderes Verhältnis zu ihm. Wahrscheinlich kanntest du ihn gar nicht – manchmal glaube ich, ich |216| kannte ihn auch nicht. Frederico war ein merkwürdiger Mensch, einerseits sehr
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