Der Portwein-Erbe
gegeben war. Nicolas hatte
erfahren, dass Friedrich mithilfe von EU-Mitteln viele Trockenmauern hatte instand setzen lassen, was bei dem Weinberg, den
Nicolas sich heute ansehen wollte, noch nicht geschehen war. Dass man ihm den Gips abgenommen hatte, kam ihm auch insofern
gelegen, als Lovely Ritas Besuch mit ihrer Reisegruppe bevorstand. Er konnte ihr endlich ohne »Behinderung« gegenübertreten.
Lourdes unterstützte ihn täglich mehr, sie half beim Sichten der Akten, informierte ihn über eingehende Bestellungen |222| und ausgehende Lieferungen und hatte Gonçalves verständlich gemacht, dass Nicolas jede Zahlung zur Genehmigung vorgelegt werden
musste, allerdings nach Rücksprache. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Verwalter, und Nicolas fürchtete,
dass Lourdes die Arbeit hinschmeißen könnte. Seine Arbeitszeit stieg mit jeder Maßnahme, die er verfügte, hinzu kamen täglich
zwei Stunden Sprachstudium und zwei Stunden Bibliotheksarbeit. Bevor er im Morgengrauen mit Portugiesisch begann, notierte
er die am Vortag erledigten Arbeiten. Außerdem führte er eine Wetterstatistik. Den Abend beschloss er regelmäßig mit einer
Weinprobe. Gestern war es ein Rotwein der Quinta da Trepadeira von 1999 gewesen, aus den Rebsorten Tinta Roriz und Touriga
Franca. Er war in
cubas
, in Bottichen, vergoren und später in Barriques aus französischer Eiche ausgebaut worden. Friedrich und Otelo nutzten ähnliche
Fässer. Wie sich das Holz auf den Wein auswirkte, hatte Nicolas am Unterschied zwischen dem Jungwein, der Semi-Crianza und
der Reserva gemerkt. Alle diese Weine aus den vorherigen Jahren schmeckten anders. Allerdings waren dafür auch andere Trauben
verwendet worden. Dann kam hinzu, wie lange der Wein in den Fässern blieb und ob sie neu oder bereits gebraucht waren. Bei
einigen Weinen, die er probiert hatte, überlagerte der Geschmack des Barriques den des Weins. Ursache dafür war das Lignin,
eine Kohlenwasserstoff-Verbindung. Sie war die Grundsubstanz für den Aromastoff Vanillin, daher der Vanillegeschmack vieler
Weine, gleichzeitig wurde ihr die Eigenschaft zugesprochen, krebserregende Stoffe zu binden und so unschädlich zu machen.
Der Wein der Quinta da Trepadeira jedenfalls hatte ihm gefallen. Er meinte langsam zu begreifen, was das Typische der hiesigen
Weine war: Beerenaromen und eine kräftige, vielschichtige Würze. Die Weine waren meist sehr konzentriert, mediterran und doch
anders als der sardische, den er |223| am Abend zuvor probiert hatte. Da hatte er die Macchia fast in der Nase gehabt. Bei den Douro-Weinen meinte er, eine leichte
Mineralität zu spüren, vielleicht wegen des Schieferbodens, vielleicht auch weil er es so häufig in den Weinbeschreibungen
gelesen hatte.
Entscheidend war für ihn die Probe des Rotweins der Quinta da Casa Amarela gewesen. Mit ihm hatte er den Geschmack der Region
begriffen und konnte ihn von anderen unterscheiden. Es war nicht der beste Wein, den er getrunken hatte, es gab vornehmere,
andere waren geschliffener, aber er wahrte die nötige Distanz zwischen Ursprünglichkeit und Eleganz. Er fand alle auch bei
den Portweinen gekosteten Aromen wieder, sie waren in diesem Wein enthalten. Doch noch immer empfand er sich als blutiger
Laie. Er stand am Anfang, und bis er alles verkostet hätte, was in Friedrichs Keller lag, würden Jahre vergehen. Irgendwann
musste er damit beginnen, die Bestände wieder aufzufüllen.
Er hatte sich nicht nur in einen Rausch getrunken, sondern auch hineingearbeitet. Egal was er tat, er las es nach, jeder neue
Begriff wurde analysiert, jeder Sachverhalt in den Fachbüchern nachgeschlagen. Er fühlte sich zum ersten Mal in seinem bisher
recht bequem verlaufenen Leben wirklich gefordert und spürte die Grenzen. Aber dadurch, dass er sie kennenlernte, konnte er
sie überschreiten.
Am frühen Nachmittag nahm er den Ausdruck vom Weinberg Monte Amarelo, rief den Hund, der in den Wagen sprang, und fuhr los.
Der gesuchte Weinberg lag wie die Quinta am linken Ufer, aber ein beträchtliches Stück landeinwärts. Gonçalves hatte ihm bereitwillig
die Wegbeschreibung gegeben. Das hätte ihn stutzig machen müssen. Gonçalves hatte ihn allerdings auch vor dem schwierigen
Gelände gewarnt und ihm geraten, mögliche Sperrschilder zu beachten.
Nicolas verließ die Uferstraße hinter Folgosa. Der Weg in |224| die Weinberge stieg steil an. Er durchquerte ein Gebiet mit Olivenhainen,
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