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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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nun wieder, das Verschwinden der schwarzen Löcher weniger, und als wäre er in einem der betrunkenen früheren Betten, hörte er sich selbst murmeln: »Aber mit meinen Händen ist doch alles in Ordnung.« Damit endete dieser gruselige Augenblick, er hatte ihn zerschlagen, war froh, wie immer, wenn er nicht wusste, was wahr war, ihn überlebt zu haben. Seine Füße waren kalt, die Bettdecke war hochgerutscht und sein Penis schmerzte, gekommen war er im Traum, offenbar, beim Auftreten schienen ihm die Füße fast gefroren. Nicht zu fest auftreten, dachte er, damit sie nicht wie Eis zerklirrten. Und Anatol schlief ein, ohne wach gewesen zu sein.
    Er dachte, dass es bereits Stunden später, nach dem verwirrenden Traum gewesen sein musste, als er die schlafgekochten Augen endlich öffnete, doch es war immer noch stockfinster im Raum. Er erkannte gerade noch, dass Irina nicht schlief, sondern neben ihm im Bett saß, mit angezogenen Knien, und etwas aß, dem Geruch nach Kekse. Sie hatte offenbar nicht bemerkt, dass er aufgewacht war, und er fühlte sich eigenartig alleine und als würde er wie im Traum bis zum Hals in Genitalien stecken, wie bei der Geburt. Irinas Augen waren nicht zu sehen, und er dachte an die Fische mit den ausgehöhlten Augen und Bauchhöhlen, die zu Mumien gereiht an Schnüren auf Märkten zum Verkauf hingen. Als er sich erhob, drehte sie den Kopf. Er ging ins Bad und sah dort, dass sein Penis völlig blutverschmiert war. Die kleinen Wunden der Nähte an der Vorhaut waren aufgeplatzt. Hatte er denn heute Nacht tatsächlich, auch außerhalb des Traums gedacht, dass es sicher sei, seine Hosen vor ihr herunterzulassen? Er hielt ihn in der Hand und bedauerte ihn. Für einen kurzen Moment war ihm bewusst, dass man ihn bereits einmal begraben hatte und er flüsterte sich zu: »Andere sind hirntot, du bist eben schwanztot.« Er griff nach der Zahnbürste, die in einem Becher auf ihre Benutzung wartete, fühlte etwas eigenartig bewegliches auf der Handfläche. Kleine braune Würmchen krochen da und am Griff der Zahnbürste, und bald würden aus ihnen kleine ekelhafte Käferchen werden. Er spülte sie ins Waschbecken, hoffend, sie würden die Leitung nicht nach oben kriechen. Er wusch sich, der Wasserhahn tropfte, schlich im Dunkeln zurück ins Schlafzimmer, folgte einem Impuls und legte den Kopf in Irinas Schoß, hörte das Rascheln der Bettdecke, das fast eine Melodie bilden wollte. Ihm war klein zumute. Sie strich ihm über die glatten dünnen Haare. Es beunruhigte ihn. Es schien, als hätte ihre Anwesenheit etwas Beunruhigendes. Auch als sie sichtlich nicht länger so sitzen wollte, seinen Kopf auf dem Bett ablegte, als sie aufstand und ihn fragte, ob er Tee wolle, in die Küche ging und in den Schränken, die doch leer waren, zu suchen begann, wusste er, dass sie, trotz all der mütterlichen Zuwendungen und Kümmerungen, die sie anscheinend zu bieten versuchte, immer eine Beunruhigung im Raum sein würde. Schon eigenartig, dachte er, als er ihr in die Küche folgte, sie das Licht einschaltete und er sie in diesem neuen Licht der gelblichen Glühbirne betrachtete, dass man so eine ungewöhnliche Nähe haben kann und nicht einmal weiß, wie viel Zucker der andere im Tee trinkt. Der Wandteppich, der in der Küche über dem Diwan hing, trug ein Muster, das Ähnlichkeit aufwies mit platt gewalzten Fröschen auf dem Asphalt auf der Straße nahe ihrer Teiche, zwischen Seerosenblättern, gelb und rosa, auf blutrotem Untergrund. Sie hatte ihn wohl beobachtet, als er den Teppich beäugte und meinte, sie habe ihn schon gekauft, als noch mit Lenin bezahlt wurde. Er kam sich gleich albern vor, den Teppich so angestarrt zu haben, ging wieder ins Bad und entschied, sich um den tropfenden Wasserhahn zu kümmern. Werkzeug fand er gleich im Schränkchen unter dem Waschbecken.
    Čelobaka kam von der Veranda ins Bad getrottet, streckte sich auf dem Fliesenboden aus, um Anatol Gesellschaft zu leisten. Als die beiden in die Küche kamen und Anatol sich neben Irina setzte, die leere Teetasse, die sie ihm gereicht hatte, mit beiden Händen umklammernd, wünschte er sich, dass sie doch einen Schwanz gehabt hätte, wie Čelobaka, damit er, Anatol, sehen könnte, ob sie sich über die Geste freute. Dass er sehen könnte, dass es ihr nicht gleich war, ob der Wasserhahn nun weiter tropfte.
    Doch Irina sagte nichts, schaltete den Fernseher in der Ecke ein, die Reklame war abwechselnd russisch mit ukrainischen Untertiteln und

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