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Der Präsident

Der Präsident

Titel: Der Präsident Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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sie durchmachte, immer noch völlig verkannte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schock, mehr noch als der Aufschrei der Menge, während er dagesessen und ihre Hand gehalten hatte und, noch bevor sich ihre Finger trennten, gewusst hatte, dass Luther tot war.
    »Ich bin sicher.«
    In jener Nacht legte er sich auf die Couch. Die Decke zog er bis ans Kinn hoch. Er lag genau im Luftzug, der in Brusthöhe aus einer unsichtbaren Spalte im Fenster zu ihm herüberwehte. Plötzlich hörte er eine Tür knarren, und Kate kam aus dem Schlafzimmer. Sie trug denselben Morgenmantel wie damals, das Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Ihr Gesicht wirkte frisch und rein, lediglich ein leichter roter Schimmer um die Wangen verriet das innerliche Trauma.
    »Brauchst du irgendetwas?«
    »Mir geht’s gut. Die Couch ist weit bequemer, als ich dachte. Ich habe immer noch die Alte aus unserer Wohnung in Charlottesville. Ich glaube, keine einzige Sprungfeder funktioniert mehr. Die haben sich wahrscheinlich alle längst zur Ruhe gesetzt.«
    Sie lächelte nicht, setzte sich jedoch neben ihn.
    Als sie noch zusammengelebt hatten, hatte sie jeden Abend ein Bad genommen. Wenn sie ins Bett kam, roch sie so gut, dass es ihm beinahe den Verstand raubte. Ihr Duft war rein und vollkommen wie der Atem eines Neugeborenen. Und dann tat sie eine Weile, als ob sie überhaupt nichts begreife, bis er schließlich erschöpft auf ihr lag. Danach setzte sie stets ein ausgesprochen verruchtes, wissendes Lächeln auf und streichelte ihn, während er minutenlang darüber nachgrübelte, warum es für ihn so glasklar war, dass Frauen die Welt beherrschten.
    Als sie den Kopf gegen seine Schulter lehnte, spürte er eine merkliche Regung seiner niederen Instinkte. Doch ihr erschöpfter Anblick, die völlige Teilnahmslosigkeit, bändigte seine weltlichen Gelüste rasch und flößte ihm mehr als nur leise Schuldgefühle ein.
    »Ich bezweifle, dass ich eine gute Gesellschaft abgebe.« Hatte sie gefühlt, was in ihm vorging? Wie konnte sie? Ihre Gedanken mussten meilenweit von Jack entfernt sein.
    »Ich bin nicht hiergeblieben, um mich von dir unterhalten zu lassen. Ich komme schon allein zurecht, Kate.«
    »Ich bin wirklich dankbar, dass du hier bist.«
    »Ich wüsste nicht, was mir im Augenblick wichtiger wäre.« Sie drückte seine Hand. Als sie sich erhob, flatterte das Unterteil des Morgenmantels und gab den Blick frei auf mehr als bloß die langen, schlanken Beine; Jack war froh, dass sie die Nacht in einem anderen Zimmer verbringen würde. Bis in die frühen Morgenstunden wälzte er Visionen von weißen Rittern mit großen dunklen Flecken auf der sonst makellosen Rüstung und idealistischen Anwälten, die sich einsam durch schlaflose Nächte quälten.
    In der dritten Nacht, als er erneut auf der Couch lag, kam sie wieder aus dem Schlafzimmer, wie zuvor. Als er das leise Knarren vernahm, legte er die Zeitschrift beiseite, in der er gerade las. Doch diesmal kam sie nicht zur Couch. Schließlich drehte er sich um und erblickte sie; sie beobachtete ihn. In jener Nacht wirkte sie nicht teilnahmslos. Und sie trug keinen Morgenmantel. Sie wandte sich um und ging zurück ins Schlafzimmer. Die Tür blieb offen.
    Einen Augenblick lang rührte er sich nicht. Dann stand er auf, schlich an die Tür und spähte hinein. In der Dunkelheit erkannte er ihre Konturen auf dem Bett. Die Decke lag am Fußende. Der Anblick des einst so vertrauten Körpers offenbarte sich ihm. Kate schaute ihn an. Jack sah nur die runden Augen, die ihn musterten. Die Hand streckte sie nicht nach ihm aus; das hatte sie nie getan, fiel ihm ein.
    »Bist du sicher?« Er fühlte sich verpflichtet, die Frage zu stellen. Er wollte keine verletzten Gefühle am nächsten Morgen, keine verwirrten, bestürzten Emotionen.
    Zur Antwort erhob sie sich und zog ihn aufs Bett. Die Matratze war fest und warm, wo sie gelegen hatte. Sekunden später war er ebenfalls nackt. Instinktiv fuhr er den Halbmond nach und streichelte mit der Hand um den schiefen Mund herum, der nun den seinen berührte. Ihre Augen waren geöffnet, und diesmal, zum ersten Mal seit langer Zeit, gab es keine Tränen, keine verquollenen Augen; nur den Blick, an den er sich so gewöhnt hatte, den er für immer um sich haben wollte. Behutsam schlang er die Arme um sie.
    Das Anwesen von Walter Sullivan war bereits Schauplatz von Besuchen höchster Würdenträger aus den erlauchtesten Kreisen der Welt gewesen. Doch dieser Abend war selbst im

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