Der Präsident
einem zweiten oder gar dritten Blick. Als sie sich bückte, um ihren Stöckelschuh zu richten, wogte sie beinahe aus dem fünftausend Dollar teuren Kleid und ließ die Herzen einiger Mitarbeiter des Weißen Hauses höher schlagen. Jack wurde wie gewöhnlich zugewinkt und -genickt; einige Männer bedachten ihn mit den üblichen neidischen Blicken. Dann betraten sie das Gebäude und zeigten ihre Einladungskarten einem Marinesergeant vor, der sie durch die Eingangshalle im Erdgeschoss geleitete und dann die Treppe hinauf in den East Room.
»Verdammt!« Der Präsident hatte sich gebückt, um eine Kopie seiner Rede für den Empfang des Abends aufzuheben, und der Schmerz fuhr ihm bis in die Schulter. »Ich glaube, eine Sehne ist angerissen, Gloria.«
Gloria Russell saß auf einem der breiten Plüschsofas, mit denen die Gattin des Präsidenten das Oval Office ausgestattet hatte.
Die Frau hatte einen guten Geschmack, das musste man ihr lassen. Sie war zudem hübsch anzusehen, wenn auch etwas unterbemittelt auf intellektuellem Gebiet. Keine Gefahr für die Macht des Präsidenten, aber ein Plus bei den Meinungsumfragen.
Ihr familiärer Hintergrund war tadellos: alter Geldadel, beste Beziehungen. Die Nähe des Präsidenten zu den Vertretern des konservativen Wohlstandes und Einflusses im Land hatte sein Ansehen bei der liberalen Wählerschaft nicht im Mindesten beeinträchtigt. Hauptsächlich war das auf sein Charisma und sein Talent für Kompromisslösungen zurückzuführen. Und auf sein gutes Aussehen, das weit mehr ausmachte, als man gemeinhin zugeben wollte.
Ein erfolgreicher Präsident musste eindrucksvolle Reden schwingen können, und Alan Richmond schwang seine so gut wie Ted Williams, die amerikanische Baseball-Legende, den Schläger.
»Ich glaube, ich brauche einen Arzt.« Der Präsident war nicht unbedingt bester Laune, aber das war Russell auch nicht.
»Und wie willst du den Schreiberlingen, die über das Weiße Haus berichten, eine Schnittwunde erklären, Alan?«
»Was ist bloß aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient geworden!«
Russell rollte mit den Augen. Trotz aller rhetorischen Fähigkeiten konnte er manchmal ziemlich dumm sein.
»Du bist wie eines der Top-Unternehmen des Landes, Alan. Alles, was dich betrifft, ist von öffentlichem Interesse.«
»Nicht alles.«
»Das wird sich noch zeigen, nicht wahr? Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden.« Seit letzter Nacht hatte Russell drei Packungen Zigaretten geraucht und zwei Kannen Kaffee getrunken. Ihr Leben, ihre Karriere, alles konnte jeden Augenblick zusammenbrechen. Vielleicht stand die Polizei schon vor der Tür. Sie musste sich mit Gewalt zusammenreißen, um nicht schreiend aus dem Zimmer zu laufen. Eine Art Übelkeit schwappte ständig in Wellen über sie hinweg. Sie biss die Zähne zusammen und umklammerte die Sofalehne. Das Bild wollte nicht aus ihrem Kopf weichen.
Der Präsident überflog den Zettel, prägte sich das eine oder andere ein, den Rest würde er aus dem Stegreif halten. Er hatte ein phänomenales Gedächtnis; eine Gabe, die ihm schon so manchen wertvollen Dienst erwiesen hatte.
»Dafür habe ich doch dich, Gloria. Damit du alles in Ordnung bringst.«
Er sah sie an.
Einen Augenblick überlegte sie, ob er es wusste. Ob er wusste, was sie mit ihm angestellt hatte. Sie erstarrte, entkrampfte sich dann aber wieder. Er konnte es nicht wissen, das war unmöglich. Sie erinnerte sich noch an sein betrunkenes Gebrabbel; oh, wie sehr doch eine Flasche Whiskey einen Menschen verändern konnte.
»Natürlich, Alan. Aber es müssen einige Entscheidungen getroffen werden. Je nachdem, was auf uns zukommt, müssen wir uns verschiedene Vorgehensweisen überlegen.«
»Meinen Terminplan kann ich nicht gut absagen. Außerdem glaube ich kaum, dass uns der Kerl was anhaben kann.«
Russell schüttelte den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
»Denk doch mal nach! Er müsste einen Einbruch gestehen, um überhaupt glaubhaft zu machen, dass er dort war. Kannst du dir vorstellen, wie er mit der Geschichte in den Abendnachrichten auftritt? Die stecken ihn doch in die Klapsmühle, bevor er nur Piep sagt.« Der Präsident schüttelte den Kopf. »Nein, Gloria, der Bursche kann mich nicht zu Fall bringen; nicht in einer Million Jahren.«
Schon auf dem Rückweg in die Stadt hatten sie in der Limousine eine Übergangsstrategie festgelegt. Sie würden schlicht und einfach alles kategorisch bestreiten und die Absurdität der
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