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Der Präsident

Der Präsident

Titel: Der Präsident Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Und dann, nachdem sie zur Vernunft gekommen war und sich von ihm hatte scheiden lassen, war sie viel zu früh gestorben. Abermals, wohl zum hundertsten Mal, fragte er sich, warum er all die Jahre Verbrechen verübt hatte. Gewiss nicht des Geldes wegen. Er hatte stets ein einfaches Leben geführt; einen Großteil der Beute aus den Einbrüchen hatte er über die Jahre hinweg verschenkt. Die Wahl, die er für sein Leben getroffen hatte, hatte seine Frau vor Sorge fast in den Wahnsinn, seine Tochter aus seinem Leben getrieben. Und zum hundertsten Mal wusste er keine wirkliche Antwort auf die Frage, was ihn dazu trieb, von den wohlbehüteten Reichen zu stehlen. Wahrscheinlich tat er es nur, um zu zeigen, dass er es konnte.
    Erneut blickte Luther zum Apartment seiner Tochter hinauf. Er war nicht für sie da gewesen, warum also sollte sie für ihn da sein? Aber er konnte die Verbindung nicht ganz abbrechen lassen, auch wenn sie das getan hatte. Wenn sie es wollte, würde er für sie da sein; aber das war nur eine Hoffnung, und er glaubte selbst nicht daran.
    Rasch ging Luther die Straße hinunter, verfiel dann schließlich in Laufschritt, um den Metro-Bus zu erwischen, der zur U-Bahn an der Union Station fuhr. Er war immer ein sehr selbstständiger Mensch gewesen, der sich nie übermäßig auf andere verlassen hatte. Er war ein Einzelgänger und wollte es nicht anders. Nun fühlte Luther sich einsam, und diesmal war das Gefühl nicht so angenehm.
    Es begann zu regnen. Als der Bus abfuhr, saß Luther auf der hinteren Bank und starrte zurück. Das Wasser perlte die glatte Oberfläche der Heckscheibe hinab und ließ die Sicht auf Kates Haus verschwimmen. Er wusste, er würde es nie wieder sehen, so sehr er es auch wollte.
    Luther drehte sich auf dem Sitz herum, zog den Hut tiefer ins Gesicht und schnäuzte sich in ein Taschentuch. Dann hob er eine weggeworfene Zeitung auf und überflog die alten Schlagzeilen. Wann würde man sie wohl finden? Wenn es soweit war, würde er es erfahren. Wenn reiche Leute starben, waren das Nachrichten für die Titelseite. Arme Leute und Durchschnittsbürger kamen nicht über die Lokalnachrichten hinaus. Christine Sullivan würde gewiss auf Seite eins erscheinen, oben in der Mitte.
    Luther warf die Zeitung auf den Boden und drückte sich tiefer in den Sitz. Er musste noch einen Anwalt aufsuchen, danach wollte er verschwinden. Der Bus brummte weiter, und schließlich schloss Luther die Augen, aber er schlief nicht. Im Geiste befand er sich im Wohnzimmer seiner Tochter, und diesmal war sie bei ihm.

KAPITEL 6 Luther saß an dem kleinen Konferenztisch eines sehr schlicht möblierten Zimmer. Die Stühle und der Tisch waren alt und ziemlich zerkratzt. Der Teppich war mindestens ebenso alt und alles andere als sauber. Außer seiner Akte befand sich auf dem Tisch lediglich ein Kartenständer. Er nahm eine der Karten zwischen die Finger. »Legal Services, Inc.« Diese Leute gehörten nicht zu den Top-Leuten der Branche; sie waren weit entfernt von den Hallen der Macht in der Innenstadt.
    Sie alle hatten ihren Abschluss an drittklassigen Universitäten gemacht, hatten somit keinerlei Aussicht, in einer namhaften Firma unterzukommen, und mussten nehmen, was sie kriegten, in der Hoffnung, irgendwo in der Zukunft einen Zipfel des großen Glücks zu erhaschen. Doch mit jedem Jahr, das verstrich, verblassten die Träume von großen Büros, großen Klienten, und – vor allem – vom großen Geld ein bisschen mehr. Luther aber brauchte nicht die Besten. Er brauchte nur jemanden, der eine Zulassung als Anwalt und die richtigen Formulare hatte.
    »Es ist alles in Ordnung, Mr. Whitney.« Der Junge sah aus wie fünfundzwanzig, noch voller Hoffnung und Energie. Dieser Ort war nicht sein endgültiges Ziel. Daran glaubte er noch unverkennbar. Das erschöpfte, verhärmte, schwammige Gesicht des älteren Mannes hinter ihm brachte keine derartige Hoffnung mehr zum Ausdruck. »Das ist Jerry Burns, der geschäftsführende Anwalt. Er wird als zweiter Zeuge für Ihren Letzten Willen fungieren. Wir haben Ihre rechtsgültige, eigenhändige Vollmacht, wir müssen also nicht vor Gericht erscheinen, um klären zu lassen, ob wir das Testament bezeugt haben oder nicht.« Eine etwa vierzigjährige Frau betrat mit ernster Miene den Raum. Sie hatte Füllfeder und Notariatssiegel bei sich. »Phyllis ist unser Notar, Mr. Whitney.« Alle nahmen Platz. »Möchten Sie, dass ich Ihnen die Bedingungen des Testaments vorlese?«
    Jerry Burns

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