Der Präsident
U-Bahn fuhr er zum Washington National Airport, wo er einen Zubringerbus zum Hauptterminal nahm. Das Gepäck hatte er bereits im Voraus für den Flug der American Airlines aufgegeben, der ihn nach Dallas/Forth Worth bringen sollte. Dort würde er die Fluglinie wechseln und nach Miami Weiterreisen, wo er übernachten wollte, um am nächsten Morgen einen weiteren Flug nach Puerto Rico zu nehmen. Ein letzter Flug schließlich würde ihn nach Barbados bringen.
Alles war bar bezahlt. Sein Reisepass wies ihn als Arthur Lanis aus, 65 Jahre alt, aus Michigan, USA. Er besaß ein halbes Dutzend solcher Ausweise; alle waren feinste Handarbeit, wirkten hochoffiziell und waren doch ausnahmslos gefälscht. Der Reisepass war noch acht Jahre gültig und zeigte, dass er häufig reiste.
Luther setzte sich in die Wartehalle und gab vor, eine Zeitung zu lesen. Die Halle war erfüllt von Lärm und Getriebe, wie es für einen gewöhnlichen Werktag auf dem viel frequentierten Flughafen üblich war. Gelegentlich spähte Luther über die Zeitung, um sich zu vergewissern, dass ihm niemand mehr als nur zufällige Aufmerksamkeit schenkte, doch er bemerkte nichts dergleichen. Und mittlerweile war er lange genug im Geschäft, dass sich etwas in ihm geregt hätte, wäre ein Grund zur Sorge vorhanden gewesen. Sein Flug wurde aufgerufen, man überreichte ihm die Bordkarte, und er trottete die Treppe hinab auf das schlanke Geschoss zu, das ihn in drei Stunden im Herzen von Texas absetzen sollte.
Das Ziel Dallas/Ft. Worth war einer der häufig gebuchten Flüge der American Airlines, überraschenderweise aber fand Luther einen leeren Sitz neben sich vor. Er legte seinen Mantel darauf ab, um niemanden in Versuchung zu führen, dort Platz zu nehmen. Dann setzte er sich und schaute aus dem Fenster.
Als das Flugzeug auf die Startbahn zurollte, konnte er durch den dichten, wirbelnden Nebel des kaltfeuchten Septembermorgens die Spitze des Washington Monument erkennen. Nur knapp eine Meile entfernt würde seine Tochter bald aufstehen, um zur Arbeit zu gehen, während ihr Vater in die Wolken abhob, um notgedrungen und nicht unbedingt leichten Herzens ein neues Leben zu beginnen.
Während die Maschine sich in die Lüfte erhob, schaute er nach unten und betrachtete den Potomac, der sich durch die Landschaft schlängelte, bis er außer Sicht geriet. Einen Moment lang schweiften Luthers Gedanken zu seiner vor langer Zeit verstorbenen Frau, dann zurück zu seiner überaus lebendigen Tochter.
Luther blickte in das freundliche, aufmerksame Gesicht der Flugbegleiterin, bestellte Kaffee und nahm eine Minute später auch das einfache Frühstück an, das sie ihm reichte. Er stürzte das heiße Getränk hinunter, dann griff er ans Fenster hinüber und berührte die mit seltsamen Streifen und Kratzern übersäte Oberfläche. Als er die Brille putzte, erkannte er, dass seine Augen heftig tränten. Rasch sah er sich um; die meisten Passagiere beendeten gerade das Frühstück oder lehnten sich zurück, um vor der Landung noch ein kurzes Nickerchen zu halten.
Er klappte das Tablett hoch, öffnete den Gurt und ging auf die Toilette, wo er sich im Spiegel betrachtete. Seine Augen waren geschwollen und blutunterlaufen. Die Tränensäcke hingen schlaff nach unten; innerhalb der letzten sechsunddreißig Stunden war er merklich gealtert.
Luther ließ sich Wasser über das Gesicht laufen, wartete, bis sich die Tropfen unter dem Kinn sammelten, und benetzte es ein zweites Mal. Abermals rieb er sich die Augen. Sie schmerzten. Er lehnte sich gegen das winzige Waschbecken und versuchte, die zuckenden Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu bekommen.
Trotz aller Willensanstrengung wanderten die Gedanken zurück zu jenem Zimmer, wo er gesehen hatte, wie eine Frau brutal geschlagen wurde. Der Präsident der Vereinigten Staaten war ein Säufer, ein Ehebrecher, und er prügelte Frauen. Er grinste in Pressekameras, küsste Babys und flirtete mit alten Damen, die bezaubert von ihm waren; er nahm an bedeutenden Konferenzen teil, flog als oberster Repräsentant seines Landes in alle Welt – und er war ein verdammtes Arschloch, das verheiratete Frauen vögelte, sie zusammenschlug und umbringen ließ.
Was für eine Kombination!
Es war mehr Wissen, als ein einzelner Mensch mit sich herumschleppen sollte.
Luther fühlte sich sehr einsam. Und stinksauer.
Das Traurigste daran war, dass der Mistkerl damit durchkommen würde.
Die ganze Zeit hatte Luther sich eingeredet, dass er den Kampf
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