Der Präsident
verlassenen Landstraßen des County brauste.
Franks großer, schwerknochiger Körper wies bereits erste Anzeichen der unvermeidlichen Erschlaffung auf, auch die schwarzen Locken waren nicht mehr so dicht wie einst. Er war einundvierzig, Vater dreier Töchter, die jeden Tag komplizierter und befremdlicher wurden, und er hatte inzwischen gelernt, dass nicht alles im Leben einen Sinn ergab. Aber insgesamt betrachtet, war er ein glücklicher Mann. Das Leben hatte ihn mit keinen allzu schweren Schicksalsschlägen gestraft. Noch nicht. Er war lange genug Gesetzeshüter, um zu wissen, dass sich das schlagartig ändern konnte.
Frank wickelte einen Streifen Juicy Fruit aus, den er gemächlich kaute, während dichte Reihen von Pinien am Fenster vorbeiflogen. Er hatte seine Laufbahn als Streifenpolizist in den schlimmsten Vierteln von New York City begonnen, wo der Begriff »Wert des Lebens« ein Widerspruch in sich war und wo er praktisch jede mögliche Art gesehen hatte, wie Menschen einander umbringen konnten. Schließlich war er Detective geworden; seine Frau war vor Freude ganz aus dem Häuschen gewesen. Zumindest würde er nun am Ort des Verbrechens eintreffen, wenn die bösen Jungs bereits verschwunden waren. Sie schlief nachts besser, seit sie wusste, dass der gefürchtete Anruf, der ihr Leben zerstören konnte, wahrscheinlich ausbleiben würde. Das war das Höchste, was sie als Frau eines Polizisten erhoffen durfte.
Schließlich war Frank dem Morddezernat zugeteilt worden, was in seinem Beruf vermutlich die größte Herausforderung darstellte. Nach ein paar Jahren war er zu dem Schluss gekommen, dass er die Arbeit und die Herausforderung mochte, nicht aber im Ausmaß von sieben Leichen pro Tag. Also war er in den Süden gezogen, nach Virginia.
Hier durfte er sich Leiter des Morddezernats von Middleton County nennen, was sich tatsächlich besser anhörte, als es eigentlich war, denn er war zugleich der einzige Ermittler in Mordfällen, den das County sich leistete. Aber in dem relativ harmlosen ländlichen Gebiet waren über die Jahre hinweg nicht viele anspruchsvolle Aufgaben auf ihn zugekommen. Dazu waren die Bewohner in der Regel einfach zu gut betucht. Zwar wurden Menschen ermordet, doch abgesehen von Frauen, die ihre Ehemänner erschossen und umgekehrt, und erbgierigen Kindern, die ihre Eltern um die Ecke brachten, gab es nichts Aufregendes. Die Täter waren in diesen Fällen ziemlich offensichtlich; es handelte sich weniger um geistige als vielmehr um Laufarbeit. Der Anruf von vorhin konnte das alles möglicherweise ändern.
Die Straße wand sich durch bewaldetes Gebiet und erstreckte sich dann zwischen umzäunten, grünen Weiden, auf denen langbeinige Vollblutpferde träge dem neuen Morgen entgegenblickten. Hinter eindrucksvollen Toren und langen, gewundenen Auffahrten befanden sich die Residenzen der Reichen, von denen es in dieser Gegend nur so wimmelte. Frank kam zu dem Schluss, dass er von den Nachbarn bei diesem Fall nicht viel Hilfe erwarten konnte. Hatten sie sich erst in ihren jeweiligen Festungen verschanzt, sahen und hörten sie vermutlich nichts mehr von dem, was draußen vor sich ging. Zweifellos wollten sie es so und zahlten teuer für dieses Privileg.
Als Frank sich dem Anwesen der Sullivans näherte, rückte er im Rückspiegel die Krawatte gerade und strich ein paar verirrte Strähnen aus der Stirn. Er empfand keine besondere Sympathie für die Reichen, aber auch keine ausgeprägte Abneigung. Sie waren Teile des Puzzles. Ein Rätsel, das längst nichts mehr mit einem Spiel zu tun hatte. Das wiederum führte zum befriedigendsten Aspekt seiner Arbeit. Denn zwischen all den unerwarteten Wendungen eines Falles, den Täuschungen, falschen Spuren und offensichtlichen Fehlern lauerte eine unumstößliche Wahrheit: Wer einen Menschen tötete, fiel in die Zuständigkeit von Seth Frank und wurde letztlich bestraft. Normalerweise interessierte er sich nicht dafür, wie diese Strafe aussah. Was ihn sehr wohl interessierte, war, dass solche Menschen vor Gericht kamen, und -im Falle einer Verurteilung – die über sie verhängte Strafe verbüßten. Ganz gleich, ob es sich nun um Reiche, Arme oder Mittelständler handelte. Seine Fähigkeiten mochten ein wenig eingerostet sein, doch die Instinkte waren immer noch da. Alles in allem hatte er sich auf Letztere stets verlassen können.
Als er in die Auffahrt bog, bemerkte Frank einen Mähdrescher, der sich durch ein angrenzendes Maisfeld wühlte. Der Fahrer
Weitere Kostenlose Bücher