Der Präsident
Vielleicht will man uns das auch nur glauben lassen. Jedenfalls wurde der Tresor ausgeräumt. Etwa viereinhalb Millionen Dollar Beute. Und was hat Mrs. Sullivan dort gewollt? Sie hätte eigentlich in der Karibik in der Sonne liegen sollen. Kannte sie den Kerl? Hatte sie auch heimliche Affären? Wenn dem so war, hängt beides irgendwie zusammen? Und wieso spaziert jemand zur Eingangstür hinein, überlistet die Alarmanlage und klettert dann über ein Seil aus dem Fenster? Jede Frage, die ich mir stelle, wirft eine neue auf.« Ein wenig erstaunt über den eigenen Wortschwall setzte Frank sich wieder.
Der Pathologe lehnte sich im Sessel zurück, zog die Akte zu sich und überflog sie eine Minute lang. Er nahm die Brille ab, putzte sie am Ärmel und klemmte die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger.
Franks Nasenflügel bebten. »Nun sag schon, was hältst du von der Sache?«
»Du hast gesagt, am Tatort gab es nichts zu finden. Darüber habe ich nachgedacht. Du hast recht. Es war zu sauber.« Gemächlich zündete der Gerichtsmediziner sich eine Pall Mall an, filterlos, wie Frank bemerkte. Alle Leichenbeschauer, die er kannte, hatten geraucht. Der Gerichtsmediziner blies Rauchringe in die Luft. Anscheinend genoss er die geistige Herausforderung.
»Die Fingernägel waren zu sauber.«
Verwirrt glotzte Frank ihn an.
Der Pathologe fuhr fort. »Ich will damit sagen, da war kein Schmutz, auch kein Nagellack, obwohl sie so ein hellrotes Zeug getragen hat. Keine Rückstände, die man normalerweise finden würde. Nichts. Es schien, als wären sie ausgeputzt worden; verstehst du, was ich meine?« Er machte eine Pause, dann sprach er weiter. »Außerdem habe ich geringfügige Spuren einer Lösung gefunden.« Abermals hielt er inne. »Ähnlich einem Reinigungsmittel.«
Frank machte einen Erklärungsvorschlag. »Sie war an dem Morgen in einem dieser schicken Schönheitssalon. Ließ sich die Nägel richten und all so was.«
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Dann wären mehr Rückstände zu erwarten gewesen, nicht weniger, bei all den Chemikalien, die dort benutzt werden.«
»Worauf willst du hinaus? Dass man ihr die Fingernägel absichtlich ausgeputzt hat?«
Der Gerichtsmediziner nickte. »Da war jemand sorgfältig darauf bedacht, nichts zu hinterlassen, was in irgendeiner Form der Identifizierung dienen könnte.«
»Das heißt, jemand hatte panische Angst davor, irgendwelche äußeren Beweise zu hinterlassen.«
»Das haben die meisten Täter, Seth.«
»Bis zu einem gewissen Grad. Aber Fingernägel auszuspritzen und einen Ort so zu hinterlassen, dass unser Staubsauger praktisch leer blieb, ist schon ein bisschen übertrieben.«
Frank blätterte den Bericht durch. »Du hast auch Spuren von Öl an ihren Handballen gefunden?«
Der Pathologe nickte und blickte den Ermittler eindringlich an. »Ein Imprägniermittel. Du weißt schon, wie man es für Textilien, Leder und Ähnliches verwendet.«
»Sie hat also möglicherweise etwas in der Hand gehabt, von dem die Rückstände stammen?«
»Genau. Obwohl wir natürlich nicht sicher sein können, wann das Öl an ihre Hände kam.« Der Mediziner setzte die Brille wieder auf. »Glaubst du, sie kannte den Täter, Seth?«
»Nichts weist darauf hin, es sei denn, sie hat ihn eingeladen, in das Haus einzubrechen.«
Plötzlich hatte der Gerichtsmediziner eine Eingebung. »Vielleicht hatte sie den Einbruch geplant. Kannst du mir folgen? Sie hat genug von dem alten Mann, lässt ihren neuen Stecher das nötige Kleingeld stehlen und setzt sich dann mit ihm ab?«
Frank überdachte die Theorie. »Aber die beiden zerstreiten sich, oder der Täter treibt die ganze Zeit ein Doppelspiel, und letztlich bekommt sie eine Ladung Blei ab?«
»Es passt zu den Fakten, Seth.«
Frank schüttelte den Kopf. »Soweit wir wissen, liebte sie es, Mrs. Walter Sullivan zu sein. Nicht nur wegen des Geldes, wenn du weißt, was ich meine. Überall auf der Welt kam sie mit Berühmtheiten in Berührung, mit manchen wahrscheinlich sogar ziemlich intim. Das ist schon etwas für jemanden, der früher bei Burger King serviert hat.«
Der Gerichtsmediziner starrte ihn an. »Ist nicht wahr?«
Der Fahnder lächelte. »Achtzigjährige Milliardäre haben manchmal seltsame Anwandlungen. Wohin setzt sich ein vierhundert Kilo schwerer Gorilla? Wohin es ihm gefällt.«
Grinsend schüttelte der Leichenbeschauer den Kopf. Milliardär? Was würde er mit einer Milliarde Dollar anfangen? Er betrachtete den
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