Der Prediger von Fjällbacka
Gabriel zu kurz gekommen. Für Jacob waren sie beide nur gewöhnliche, langweilige Sterbliche, während Ephraim fast den Status einer Gottheit besaß. Als er so unerwartet verstorben war, hatte Jacob zunächst nur mit Verblüffung reagiert. Ephraim konnte doch nicht so einfach verschwinden. Einen Tag hier und am nächsten weg. Er war wie eine uneinnehmbare Festung gewesen, eine unumstößliche Tatsache.
Sie schämte sich dafür, aber als sie begriff, daß Ephraim tot war, hatte sie als erstes Erleichterung verspürt. Aber auch eine Art triumphierender Freude, weil nicht einmal er Herr über die Naturgesetze gewesen war. Manchmal hatte sie daran schon gezweifelt. Er hatte so sicher gewirkt in seiner Gewißheit, daß auch Gott jemand war, den er manipulieren und beeinflussen konnte.
Sein Sessel stand am Fenster mit Aussicht auf den Wald vor dem Haus. Genau wie Jacob konnte auch sie der Versuchung nicht widerstehen, sich auf Ephraims Platz zu setzen. Einen Augenblick lang meinte sie, seinen Geist im Zimmer zu spüren, als sie sich dort niederließ. Ihre Finger folgten nachdenklich den Linien des Stoffes.
Die Geschichten über die Fähigkeit von Gabriel und Johannes, Menschen zu heilen, hatten Jacob beeinflußt. Ihr hatte das überhaupt nicht gefallen. Manchmal kam er mit einem Gesichtsausdruck nach unten, der fast an Trance erinnerte. Das hatte sie immer erschreckt. Da hatte sie ihn fest umarmt, sein Gesicht an ihren Leib gepreßt, bis sie fühlte, daß seine Anspannung sich löste. Wenn sie ihn dann freigegeben hatte, war alles wie immer gewesen. Bis zum nächsten Mal.
Aber jetzt war der Alte seit langem tot und begraben. Gott sei Dank.
»Glaubst du wirklich, daß an deiner Theorie etwas dran ist? Also, daß Johannes nicht tot ist?«
»Ich weiß nicht, Martin. Aber im Augenblick bin ich bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen, den ich zu fassen bekommen kann. Du mußt doch zugeben, es ist ein bißchen merkwürdig, daß die Polizei Johannes am Ort seines Selbstmords nie zu Gesicht bekommen hat.«
»Ja, sicher, aber das würde doch voraussetzen, daß sowohl der Arzt als auch der Bestattungsunternehmer in die Sache verwickelt waren«, erwiderte Martin.
»Das ist nicht so weit hergeholt, wie es klingt. Vergiß nicht, daß Ephraim ein äußerst wohlhabender Mann war. Für Geld hat man schon größere Gefallen getan. Es würde mich auch nicht wundern, wenn die Männer sich ziemlich gut gekannt hatten. Angesehene Männer der Gemeinde, bestimmt aktiv im Vereinsleben, Lions Club, you name it.«
»Aber einem, der unter Mordverdacht steht, zur Flucht zu verhelfen?«
»Nicht unter Mordverdacht, nur unter dem der Entführung. Soviel ich weiß, war Ephraim Hult außerdem ein Mann mit einer ungewöhnlich großen Überredungsgabe. Vielleicht überzeugte er die anderen, daß Johannes unschuldig war, die Polizei ihm aber die Sache zuschieben wollte, und daß das hier der einzige Weg war, ihn zu retten.«
»Aber trotzdem. Hätte Johannes seine Familie so einfach ihrem Schicksal überlassen? Seine beiden kleinen Söhne?«
»Vergiß nicht, wie man seine Person beschrieben hat. Ein Spieler, ein Mann, der immer dem Gesetz des geringsten Widerstands folgte. Der sich um Regeln und Verpflichtungen nicht groß kümmerte. Wenn jemand dazu bereit gewesen wäre, seine eigene Haut auf Kosten seiner Familie zu retten, dann bestimmt Johannes. Das paßte perfekt zu ihm.«
Martin war immer noch skeptisch. »Aber wo ist er in diesem Fall all die Jahre gewesen?«
Patrik schaute sorgfältig nach beiden Seiten, bevor er links nach Tanumshede abbog. Er sagte: »Vielleicht im Ausland. Die Tasche vollgestopft mit Papas Geld.« Er blickte Martin an. »Du scheinst von meiner brillanten Theorie nicht gerade überzeugt zu sein.«
Martin lachte. »Nein, so kann man es gut und gern ausdrücken. Ich finde, es klingt, als wärst du völlig auf dem Holzweg, aber andererseits ist bei diesem Fall bis jetzt nichts normal gewesen, also warum nicht?«
Patrik wurde ernst. »Ich sehe bloß Jenny Möller vor mir. Irgendwo gefangen von jemandem, der sie quält, unmenschlicher, als man es sich überhaupt vorstellen kann. Wegen ihr versuche ich in anderen Bahnen als den üblichen zu denken. Wir können es uns nicht leisten, genauso ungeschickt vorzugehen wie gewöhnlich. Wir haben zuwenig Zeit dafür. Wir müssen sogar das scheinbar Unmögliche in Erwägung ziehen. Es kann sein, vermutlich ist es sogar so, daß dieser Einfall nur eine verrückte Idee von mir
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