Der Prediger von Fjällbacka
»Hallo, hier ist Linda. Nach dem Piepton kannst du eine Nachricht hinterlassen, dann rufe ich zurück, sobald ich kann.« Johan drückte irritiert auf die Löschtaste. Er hatte bereits vier Nachrichten hinterlassen, und sie hatte ihn noch immer nicht angerufen. Zögernd gab er die Nummer von Västergärden ein. Er hoffte, daß Jacob bei der Arbeit war. Er hatte Glück. Marita ging an den Apparat.
»Hallo, ist Linda zu Hause?«
»Ja, sie ist in ihrem Zimmer. Wer will sie sprechen?«
Er zögerte von neuem. Aber vermutlich würde Marita seine Stimme nicht wiedererkennen, auch wenn er seinen Namen sagte.
»Hier ist Johan.«
Er hörte, daß sie das Telefon weglegte und die Treppe hochging. In seinem Innern sah er das Interieur von Västergärden vor sich, jetzt viel klarer als kürzlich.
Nach einem Weilchen war Martina zurück. Jetzt klang ihre Stimme reserviert.
»Sie sagt, daß sie nicht mit dir reden will. Darf ich fragen, welcher Johan es ist?«
»Danke für die Hilfe.« Eilig legte er auf.
Widerstreitende Gefühle quälten ihn. Er hatte nie jemanden so sehr geliebt, wie er Linda liebte. Wenn er die Augen schloß, konnte er noch immer ihre weiche nackte Haut spüren. Gleichzeitig haßte er sie. Die Kettenreaktion hatte bereits eingesetzt, als sie auf Västergärden aneinandergeraten waren. Sein Haß und der Wunsch, ihr zu schaden, waren so stark gewesen, daß er sich beinahe nicht hatte beherrschen können. Wie war es möglich, daß zwei so unterschiedliche Gefühle Seite an Seite existierten?
Vielleicht war es dumm von ihm gewesen, zu glauben, daß es zwischen ihnen beiden etwas Echtes geben konnte. Daß es für sie mehr war als nur ein Spiel. Als er jetzt am Telefon saß, kam er sich wie ein Idiot vor, und dieses Gefühl ließ den Zorn in ihm weiter auflodern. Aber es gab etwas, das er tun konnte, um auch sie etwas von seiner Erniedrigung spüren zu lassen. Sie würde es bereuen, daß sie geglaubt hatte, sie könnte mit ihm machen, was sie wollte.
Er würde erzählen, was er gesehen hatte.
Patrik hätte sich niemals vorgestellt, daß er in einer Exhumierung eine willkommene Unterbrechung sehen könnte. Aber nach dem gestrigen Abend, der sich quälend hingezogen hatte, erschien ihm sogar eine solche Sache als angenehme Beschäftigung.
Mellberg, Martin und Patrik standen schweigend auf dem Friedhof von Fjällbacka und beobachteten die makabre Szene, die sich vor ihnen abspielte. Es war sieben Uhr früh, und die Temperatur war angenehm, obwohl die Sonne bereits eine Weile am Himmel gestanden hatte. Nur vereinzelt fuhren Autos auf der Straße vor dem Friedhof vorbei, und außer dem Vogelgezwitscher hörte man lediglich das Geräusch der Spaten.
Es war ein neues Erlebnis für alle drei. Eine Exhumierung war ein seltenes Ereignis im Alltag eines Polizeibeamten, und keiner von ihnen hatte eigentlich eine Vorstellung davon, wie die Sache rein praktisch ablief. Nahm man vielleicht einen kleinen Bagger zu Hilfe und grub sich durch die Erdschichten zum Sarg hinunter? Oder erschien ein Trupp professioneller Totengräber und erledigte die scheußliche Tätigkeit manuell? Die zweite Alternative kam der Wirklichkeit am nächsten. Dieselben Männer, die vor jeder Beerdigung die Gruben aushoben, waren jetzt zum erstenmal damit beschäftigt, eine bereits begrabene Person wieder ans Tageslicht zu befördern. Finster und ohne ein Wort stießen sie die Spaten in die Erde. Was sollte man auch sagen? Sollte man über den Sport reden, der gestern im Fernsehen gelaufen war? Oder über die Grillparty vom vergangenen Wochenende? Nein, der Ernst der Stunde legte sich als schweres Schweigen über ihre Arbeit, und so würde es auch bleiben, bis der Sarg endlich gehoben wäre.
»Bist du sicher, daß du weißt, was du tust, Hedström?«
Mellberg wirkte besorgt, und Patrik teilte seine Unruhe. Er hatte gestern seine ganze Überredungskunst aufbringen müssen - hatte gebeten, gedroht und gebettelt -, damit die Mühlen der Gerechtigkeit schneller als je zuvor mahlten und sie die Erlaubnis erhielten, Johannes Hults Grab zu öffnen. Aber noch immer war sein Verdacht nicht viel mehr als ein Gefühl.
Patrik war kein religiöser Mensch, aber der Gedanke, den letzten Frieden zu stören, setzte ihm dennoch zu. Die Stille des Friedhofs hatte etwas Sakrales, und er hoffte, daß er gute Gründe dafür finden würde, die Toten in ihrer Ruhe gestört zu haben.
»Stig Thulin hat mich gestern aus dem Bezirksbüro angerufen, und er war nicht
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