Der Prediger von Fjällbacka
erledigen. Ich habe mir schon gestern seine Zahnkarte kommen lassen, also brauchst du nicht lange auf das Ergebnis zu warten. Es eilt schließlich .«
Ruud senkte den Blick. Er hatte selbst eine Tochter im Alter von siebzehn, und man brauchte ihm die Dringlichkeit des Falls nicht zu unterstreichen. Es genügte, sich den Bruchteil einer Sekunde die Angst vorzustellen, die Jenny Möllers Eltern verspüren mußten.
Schweigend beobachteten sie, wie der Sarg sich nun langsam dem Rand des Grabes näherte. Schließlich war der Deckel zu sehen, und Patrik verspürte vor Anspannung ein Kribbeln in den Händen. Bald würden sie es wissen. Im Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung weiter hinten auf dem Friedhof. Er richtete den Blick dorthin. O verdammt! Durch das Tor bei der Fjällbackaer Feuerwehr kam Solveig angerauscht. In voller Fahrt. Sie schaffte es nicht, zu rennen, sondern schaukelte heran wie ein Schiff bei Seegang, das Grab im Visier, wo der Sarg jetzt in voller Größe zu sehen war.
»Scheiße, was glaubt ihr eigentlich, was ihr da macht, ihr verdammten Schwanzlutscher?«
Die Männer aus Uddevalla, die noch nie mit Solveig Hult zu tun gehabt hatten, zuckten zusammen bei ihren vulgären Ausdrücken. Patrik war sich jetzt im nachhinein klar, daß man so etwas hätte voraussehen und eine Absperrung vornehmen müssen. Er hatte geglaubt, daß der frühe Zeitpunkt genügte, um die Leute von der Öffnung des Grabes fernzuhalten. Aber Solveig war natürlich nicht irgendwer. Er ging ihr entgegen.
»Solveig, du solltest nicht hier sein.«
Patrik faßte sie leicht beim Arm. Sie riß sich los und tobte an ihm vorbei.
»Gebt ihr nie auf! Wollt ihr Johannes jetzt auch noch in seinem Grab stören! Wollt ihr unser Leben um jeden Preis kaputtmachen?«
Bevor jemand reagieren konnte, war Solveig beim Sarg angelangt und warf sich auf ihn. Sie heulte wie eine italienische Matrone auf einer Beerdigung und hämmerte mit den Fäusten auf den Sargdeckel. Alle standen wie festgefroren. Keiner wußte, was er tun sollte. Dann entdeckte Patrik zwei Gestalten, die aus derselben Richtung wie Solveig angerannt kamen. Johan und Robert starrten die Polizisten nur haßerfüllt an, bevor sie zu ihrer Mutter hinliefen.
»Mach das nicht, Mama. Komm, wir fahren nach Hause.«
Noch immer standen alle wie erstarrt. Nur Solveigs Geheul und die bittenden Stimmen der Söhne waren auf dem Friedhof zu hören. Johan drehte sich um.
»Sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Von dem Moment an, wo ihr angerufen habt, um zu sagen, was ihr vorhabt. Wir haben versucht, sie zu hindern, aber sie hat sich rausgeschlichen. Ihr verdammten Scheißkerle, nimmt das denn nie ein Ende!«
Seine Worte waren wie ein Echo dessen, was seine Mutter gesagt hatte. Einen Augenblick lang verspürten sie kollektive Scham über die schmutzige Tätigkeit, zu der sie gezwungen waren, doch gezwungen sein war genau das richtige Wort. Sie mußten das, was sie angefangen hatten, zu Ende führen.
Torbjörn Ruud nickte Patrik zu, und beide gingen zum Grab, um Johan und Robert zu helfen, ihre Mutter vom Sarg wegzuheben. Es schien, als seien Solveigs letzte Kräfte verbraucht, und sie sackte an Roberts Brust zusammen.
»Tut, was ihr tun müßt, aber laßt uns danach in Frieden«, sagte Johan, ohne ihnen in die Augen zu sehen.
Die Söhne geleiteten die Mutter in Richtung des Tores, das aus dem Friedhof hinausführte. Erst als sie außer Sichtweite waren, kam Bewegung in die Männer. Niemand kommentierte das Geschehene.
Der Sarg stand neben der Grube und hütete seine Geheimnisse.
»Hattet ihr den Eindruck, daß jemand darin liegt?« fragte Patrik die Männer, die ihn herausgehoben hatten.
»Läßt sich nicht sagen. Der Sarg selber ist sehr schwer. Manchmal kann auch durch ein Loch Erde reingerieselt sein. Um das genau zu wissen, bleibt nur, ihn zu öffnen.«
Der Augenblick ließ sich nicht länger aufschieben. Die Fotografin hatte alle notwendigen Aufnahmen gemacht. Die Hände mit Handschuhen geschützt, schritten Ruud und seine Kollegen zu Werke.
Langsam wurde der Deckel gehoben. Alle hielten die Luft an.
Punkt acht rief Annika bei der Firma an. Sie hatten den ganzen gestrigen Nachmittag zur Verfügung gehabt, um im Archiv zu suchen, und etwas dürften sie zu diesem Zeitpunkt ja wohl gefunden haben. Sie hatte recht.
»Was für ein Timing. Wir haben gerade den Ordner mit der Kundenliste für FZ-302 aufgestöbert. Aber leider habe ich keine gute Nachricht. Oder übrigens,
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