Der Prediger von Fjällbacka
längere Strecke transportiert worden sind, aber es ist vielleicht eine Kontrolle wert.«
»Kein Problem.« Annika wedelte noch heftiger mit dem Block. Schweißperlen hatten sich auf ihrer Oberlippe gebildet.
Mellberg wurde keine Aufgabe übertragen. Patrik merkte, daß es ihm schwerfiel, seinem Chef Anweisungen zu erteilen, und außerdem war es ihm lieber, wenn der sich nicht in die täglichen Ermittlungsaufgaben einmischte. Obwohl er zugeben mußte, daß Mellberg eine erstaunlich gute Arbeit geleistet hatte, indem er ihm die Politiker vom Halse hielt.
Noch immer hatte der Chef etwas Merkwürdiges an sich. Normalerweise tönte Mellbergs Stimme am lautesten von allen, aber jetzt saß er still und ruhig da und wirkte, als befinde er sich weit weg. Die Munterkeit, die sie alle über mehrere Wochen konfus gemacht hatte, war von diesem noch beunruhigenderen Schweigen abgelöst worden. Patrik fragte: »Bertil, gibt es etwas, was du hinzufügen möchtest?«
»Was? Entschuldige, was hast du gesagt?« Mellberg war zusammengezuckt.
»Hast du was hinzuzufügen?« wiederholte Patrik.
»Ja, ach ja«, sagte Mellberg und räusperte sich, als er bemerkte, daß sich alle Augen auf ihn richteten. »Nein, ich glaube nicht. Du scheinst die Situation unter Kontrolle zu haben.«
Annika und Patrik warfen sich einen Blick zu. Normalerweise wußte Annika über alles, was im Revier geschah, bis ins kleinste Bescheid, aber jetzt hob sie nur Schultern und Augenbrauen, um zu zeigen, daß auch sie keine Ahnung hatte.
»Noch Fragen? Nein, na dann. Machen wir uns also wieder an die Arbeit.«
Dankbar verließen alle das heiße Zimmer, um irgendwo ein bißchen Kühle zu finden. Nur Martin blieb noch.
»Wann fahren wir?«
»Ich dachte, wir essen erst Mittag und fahren gleich danach.«
»Okay. Soll ich irgendwas für uns besorgen, dann können wir im Pausenraum essen?«
»Ja, das wäre super, dann kann ich Erica vorher noch anrufen.«
»Grüße sie.« Martin war schon fast aus der Tür. Patrik wählte die Nummer von zu Hause. Er hoffte, daß Jörgen und Madde sie noch nicht zu Tode gelangweilt hatten.
»Ziemlich isoliert, das hier.«
Martin blickte umher, aber sah nur Bäume. Sie waren eine Viertelstunde auf schmalen Waldwegen gefahren, und er fragte sich allmählich, ob sie richtig waren.
»Bleib ruhig, ich kenne mich aus. Ich bin schon mal hier gewesen, als einer der Jungs ein bißchen ausgerastet ist, ich finde den Weg.«
Patrik hatte recht. Kurze Zeit später bogen sie auf den Hof ein.
»Scheint kein schlechter Ort zu sein.«
»Ja, sie haben einen guten Ruf. Zumindest ist die Fassade nach außen in Ordnung. Ich persönlich bin ein bißchen skeptisch, sobald zuviel Halleluja dabei ist, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Auch wenn das Anliegen dieser freireligiösen Gemeinden zu Beginn immer ein gutes ist, so scheinen sie früher oder später stets eine Anzahl merkwürdiger Menschen anzuziehen. Sie bieten starken Zusammenhalt und ein Familiengefühl, das für Leute verlockend ist, die sich nirgendwo zu Hause fühlen.«
»Das klingt, als wüßtest du, wovon du sprichst.«
»Na ja, meine Schwester hatte sich ein Weilchen in so eine komische Geschichte reinziehen lassen. Du weißt, diese Zeit der Suche, wenn man Teenager ist. Aber sie kam mit heiler Haut wieder raus, also ist es nie so schlimm geworden. Aber ich habe genug darüber gelernt, wie so was funktioniert, um eine gesunde Skepsis zu entwickeln. Doch wie gesagt, über diesen Ort hier habe ich nie etwas Negatives gehört, also gibt es wohl keinen Grund zu der Vermutung, daß nicht alles okay ist.«
»Auf jeden Fall hat das ja nichts mit unserer Ermittlung zu tun«, sagte Martin.
Es klang warnend, und er meinte es auch ein bißchen so. Patrik war im Normalfall immer beherrscht, aber jetzt hatte in seiner Stimme eine leichte Verachtung mitgeklungen, und Martin fragte sich ein bißchen beunruhigt, wie sich das wohl auf die Befragung von Jacob auswirken würde.
Es war, als könnte Patrik seine Gedanken lesen. Er lächelte.
»Mach dir keine Sorgen. Das ist nur eins meiner Steckenpferde, aber das hat nichts mit dieser Sache hier zu tun.«
Sie parkten und stiegen aus dem Wagen. Der Hof pulsierte vor Aktivität. Jungen und Mädchen schienen überall, im Freien und auch in den Gebäuden, tätig zu sein. Eine Gruppe war unten am See zum Baden, und der Geräuschpegel war hoch. Es wirkte wie das ultimative Idyll. Martin und Patrik klopften. Ein Bursche von achtzehn,
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