Der Prediger von Fjällbacka
seinen Augen waren die zwei aber fast ein und dasselbe.
Es war nicht durch irgendein Wunder geschehen. Er hatte keine donnernde Stimme von oben vernommen oder einen Blitz gesehen, der vor seinen Füßen eingeschlagen war, zum Beweis, daß ER existierte. Statt dessen war es durch die Stunden, die er mit Jacob verbracht hatte, durch ihre Gespräche gelungen, daß sich vor ihm allmählich das Bild von Jacobs Gott abzeichnete. Es war wie bei einem Puzzle, wo langsam das Bild entsteht, das auf dem Deckel der Schachtel zu sehen ist.
Zuerst war er dagegen angegangen. War abgehauen und hatte mit den Kumpels gewütet. Hatte sich fast totgesoffen und war schimpflich zurückgeschleppt worden, um tags darauf mit brummendem Schädel Jacobs sanftem Blick zu begegnen, der merkwürdigerweise nie vorwurfsvoll war.
Er hatte sich bei Jacob wegen der Sache mit dem Namen beklagt und erklärt, daß der an all den Fehlern schuld war, die er selbst gemacht hatte. Aber Jacob war es statt dessen gelungen, ihm zu erklären, daß dieser Name etwas Positives war, ein Zeichen dafür, wie sich sein Leben entwickeln sollte. Es war ein Geschenk, das er erhalten hatte, erklärte Jacob. Daß er schon vom ersten Augenblick seiner Geburt an eine so einzigartige Identität bekommen hatte, konnte nur bedeuten, daß Gott ihn vor allen anderen auserwählt hatte. Der Name machte ihn zu etwas Besonderem, nicht zu etwas Merkwürdigem.
Mit demselben Eifer, den ein Ausgehungerter am Mittagstisch zeigt, hatte Kennedy all diese Worte aufgesogen. Langsam war ihm aufgegangen, daß Jacob recht hatte. Der Name war ein Geschenk. Er hob ihn aus der Menge heraus und zeigte, daß Gott mit ihm, mit Kennedy Karlsson, etwas Besonderes vorhatte. Und Jacob Hult hatte er zu verdanken, daß er dies, bevor es zu spät gewesen war, erfahren hatte.
Es machte ihm Sorge, daß Jacob in letzter Zeit so beunruhigt wirkte. Auch ihm war der Klatsch zu Ohren gekommen, der Jacobs Familie mit den toten Mädchen in Verbindung brachte, und er glaubte den Anlaß für Jacobs Besorgnis zu verstehen. Er hatte früher selbst die Boshaftigkeit einer Umgebung zu spüren bekommen, die Blut gewittert hatte. Nun war anscheinend die Familie Hult das Opfer.
Vorsichtig klopfte er an Jacobs Tür. Er hatte gemeint, aufgeregte Stimmen aus dem Zimmer zu hören, und als er die Tür öffnete, legte Jacob gerade mit erschöpftem Gesicht den Hörer auf.
»Wie steht’s?«
»Nur ein bißchen Probleme mit der Familie. Nichts, um das du dir Sorgen machen mußt.«
»Deine Probleme sind auch meine Probleme, Jacob. Das weißt du. Kannst du nicht erzählen, was los ist? Vertrau mir, so wie ich dir vertraut habe.«
Jacob strich sich müde über die Augen und fiel gleichsam in sich zusammen.
»Es ist nur alles so dumm. Wegen einer Unüberlegtheit, die mein Vater vor vierundzwanzig Jahren begangen hat, ist die Polizei auf den Einfall gekommen, daß wir etwas mit dem Mord an dieser deutschen Touristin, von der in den Zeitungen gestanden hat, zu tun haben.«
»Aber das ist ja entsetzlich.«
»Ja, und das letzte ist, daß sie heute morgen meinen Onkel Johannes auf dem Friedhof wieder ausgegraben haben.«
»Was sagst du da? Sie haben seine ewige Ruhe gestört?«
Jacob lächelte ein wenig schief. Vor einem Jahr hätte Kennedy noch nicht so gesprochen.
»Leider, ja. Die ganze Familie quält das. Aber wir können nichts tun.«
Kennedy fühlte die altbekannte Wut in sich aufsteigen. Aber heutzutage fühlte sich das besser an. Es war jetzt schließlich Gottes Zorn.
»Aber könnt ihr sie nicht anzeigen? Wegen Schikane oder so?«
Erneut Jacobs schiefes, betrübtes Lächeln. »Also du meinst, deine Erfahrung mit der Polizei sagt dir, daß man damit was erreicht?«
Nein, sicher nicht. Sein Respekt vor den Bullen war gering, um nicht zu sagen, gleich null. Wenn jemand Jacobs Frustration verstand, dann er.
Er empfand ungeheure Dankbarkeit, daß Jacob bereit gewesen war, seine Probleme ausgerechnet ihm anzuvertrauen. Das war ein weiteres Geschenk, für das er Gott beim Abendgebet danken würde. Kennedy wollte gerade den Mund aufmachen, um Jacob davon in Kenntnis zu setzen, als ihn das Klingeln des Telefons unterbrach.
»Entschuldige.« Jacob nahm den Hörer ab.
Als er ihn ein paar Minuten später wieder auflegte, war er noch bleicher geworden. Aus dem, was gesagt worden war, hatte Kennedy verstanden, daß Jacobs Vater angerufen hatte, und er hatte sich bemüht, nicht so auszusehen, als würde er eifrig lauschen, was
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