Der Prediger von Fjällbacka
Liebe. Etwas, das tief begraben unter seiner egozentrischen Geringschätzung gelegen hatte, bekam jetzt die Möglichkeit, nach oben durchzubrechen. Vielleicht konnte aus all dem Elend doch etwas Gutes entstehen.
Ein Klopfen unterbrach seine Überlegungen.
»Komm rein.«
Laine trat vorsichtig ins Zimmer, und von neuem machte er sich bewußt, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war. Verschwunden waren der nervöse Ausdruck im Gesicht und die unruhigen Bewegungen der Hände, sie schien sogar größer geworden zu sein, weil sie jetzt aufrecht ging.
»Guten Morgen, meine Liebe. Hast du gut geschlafen?«
Sie nickte und setzte sich in einen der beiden Sessel, die für Besucher in seinem Büro standen. Gabriel sah sie forschend an. Die Ringe unter ihren Augen widersprachen dem bestätigenden Nicken. Dennoch hatte sie mehr als zwölf Stunden geschlafen. Gestern, als sie, nachdem sie Jacob vom Polizeirevier abgeholt hatte, nach Hause gekommen war, hatte er kaum mit ihr reden können. Sie hatte nur gemurmelt, sie sei müde, und sich dann in ihrem Zimmer schlafen gelegt. Irgend etwas war im Anmarsch, das konnte er jetzt spüren. Laine hatte ihn kein einziges Mal angesehen, nachdem sie das Zimmer betreten hatte, sondern studierte mit äußerster Genauigkeit ihre Schuhe. Die Unruhe in ihm nahm zu, aber zuerst war er gezwungen, ihr von Johan zu erzählen. Sie reagierte mit Erstaunen und Mitgefühl, aber es war dennoch, als würden die Worte nicht richtig zu ihr durchdringen. Etwas so Fundamentales beschäftigte ihre Gedanken, daß nicht einmal der Überfall auf Johan sie davon ablenken konnte. Jetzt blinkten bei ihm alle Warnlampen.
»Ist etwas passiert? Ist gestern auf dem Polizeirevier etwas passiert? Ich habe doch abends noch mit Marita gesprochen, und sie sagte, man hat Jacob gehen lassen, und da kann die Polizei doch wohl kaum .« Er wußte nicht genau, wie er fortfahren sollte. Eine Menge Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf, und er verwarf eine Erklärung nach der anderen.
»Nein, Jacob ist von jedem Verdacht befreit«, sagte Laine.
»Was sagst du da? Aber das ist ja wunderbar!« Sein Gesicht erhellte sich. »Wie . was ist es, das .?«
Immer noch dieselbe finstere Miene, und Laine begegnete auch jetzt nicht seinem Blick.
»Bevor wir dazu kommen, gibt es etwas anderes, das du wissen solltest.« Sie zögerte. »Johannes, er, er …«
Ungeduldig rutschte Gabriel auf dem Stuhl hin und her. »Ja, was ist mit Johannes? Geht es um diese unglückselige Exhumierung?«
»Ja, das kann man so sagen.« Eine erneute Pause weckte in Gabriel den Wunsch, sie zu schütteln, damit sie das sagte, was sie über die Lippen zu bringen versuchte. Dann holte sie tief Luft, und alles strömte in einem solchen Tempo aus ihr heraus, daß er kaum hörte, was sie sagte: »Die Polizei hat Jacob erzählt, daß sie die Überreste von Johannes untersucht und dabei festgestellt haben, daß er sich nicht das Leben genommen hat. Er ist ermordet worden.«
Der Stift, den Gabriel in der Hand gehalten hatte, fiel auf den Tisch. Er sah Laine an, als hätte sie den Verstand verloren. Sie sprach weiter: »Ja, ich weiß, daß es völlig wahnsinnig klingt, aber sie sind sich offenbar total sicher. Jemand hat Johannes ermordet.«
»Wissen sie, wer?« Das war das einzige, was er sagen konnte.
»Natürlich nicht«, fauchte Laine. »Sie haben es ja gerade erst entdeckt, und bei den vielen Jahren, die vergangen sind .« Sie hob resigniert die Hände.
»Ja, das sind wirklich Neuigkeiten, muß ich schon sagen. Aber erzähle noch von Jacob. Haben sie um Entschuldigung gebeten«, fragte Gabriel in brüskem Ton.
»Wie gesagt, sie verdächtigen ihn nicht mehr. Sie haben das beweisen können, was wir längst gewußt haben«, sagte Laine, verächtlich schnaubend.
»Ja, das kommt ja wohl kaum überraschend, das war nur eine Zeitfrage. Aber wie …?«
»Die Blutproben, die sie uns heute abgenommen haben. Sie haben sein Blut als erstes mit irgendwelchen Spuren verglichen, die der Täter hinterlassen hat, und die stimmten also nicht.«
»Ja, das hätte ich ihnen gleich sagen können. Was ich übrigens auch getan habe, wenn mich nicht alles täuscht!« erklärte Gabriel hochtrabend und fühlte, wie sich in ihm ein großer Knoten löste. »Aber darauf müssen wir doch mit Champagner anstoßen, Laine, also dann verstehe ich nicht, warum du so ein finsteres Gesicht machst.«
Nun hob sie den Blick und sah ihm direkt in die Augen.
»Weil sie auch schon dazu gekommen
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