Der Prediger von Fjällbacka
seien Ephraim und Johannes ein und dieselbe Person. Und ich, ich stand immer außerhalb. Als dann Jacob geboren wurde und ich so viel von meinem Vater und meinem Bruder an ihm bemerkte, da war es, als würde mir eine Möglichkeit eröffnet, in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Wenn ich meinen Sohn eng an mich binden und ihn in- und auswendig kennenlernen konnte, so wäre das gleichzeitig so, als würde ich Ephraim und Johannes kennenlernen. Ich würde ein Teil ihrer Gemeinschaft werden.«
»Ich weiß«, sagte Laine sanft, aber es war, als hörte Gabriel sie nicht. Er blickte abwesend aus dem Fenster und fuhr fort: »Ich beneidete Johannes, der Vaters Lüge, daß wir heilen könnten, wirklich geglaubt hat. Welche Kraft doch in diesem Glauben gelegen haben muß! Seine Hände zu sehen und in der Gewißheit zu leben, daß sie Gottes Werkzeug waren. Menschen zu sehen, die sich erhoben und gehen konnten, Blinde zu erleben, die wieder sehend wurden, und zu wissen, daß man selbst all das möglich gemacht hat. Ich habe nur den Klamauk gesehen. Sah meinen Vater in den Kulissen, wie er die Zügel in der Hand hielt und Regie führte, und ich verabscheute jede Minute. Johannes sah nur die Kranken vor sich. Er sah nur seine Verbindung zu Gott. Welche Trauer er empfunden haben mußte, als diese Verbindung abbrach. Und ich habe kein Verständnis für ihn gehabt. Statt dessen war ich überglücklich. Endlich würden wir normale Jungs werden, Johannes und ich. Endlich wären wir gleich. Aber so wurde es nicht. Johannes zog auch weiterhin Menschen in seinen Bann, während ich, ich .« Die Stimme versagte ihm.
»Du hast all das, was Johannes hatte. Aber du wagst es nicht, es herauszulassen, Gabriel. Das ist der Unterschied zwischen euch beiden. Aber glaube mir, es ist vorhanden.«
Zum erstenmal in all ihren gemeinsamen Jahren sah sie Tränen in seinen Augen. Nicht einmal als Jacob todkrank gewesen war, hatte er gewagt nachzugeben. Sie nahm seine Hand, und er packte die ihre krampfhaft.
Gabriel sagte: »Ich kann nicht versprechen, daß ich verzeihen kann. Aber ich kann versprechen, es zu versuchen.«
»Ich weiß. Glaube mir, Gabriel, ich weiß es.« Sie legte seine Hand an ihre Wange.
Ericas Unruhe wuchs mit jeder weiteren Stunde. Sie war als dumpfer Schmerz im Kreuz zu spüren, und sie massierte die Stelle abwesend mit den Fingerspitzen. Den ganzen Vormittag hatte sie versucht, Anna zu Hause und auf dem Handy anzurufen, aber niemand ging an den Apparat. Über die Auskunft hatte sie die Nummer von Gustavs Handy erhalten, aber er konnte nur berichten, daß er Anna und die Kinder am Tag zuvor nach Uddevalla gebracht hatte und daß sie dort in den Zug gestiegen waren. Sie hätte im Laufe des Abends in Stockholm ankommen müssen. Es ärgerte Erica, daß er selbst kein bißchen unruhig wirkte. Er führte nur eine Menge logischer Erklärungen an, wie, daß sie vielleicht müde gewesen waren und den Stecker herausgezogen hatten, daß der Akku des Handys leer sein könnte, oder, er lachte, vielleicht hatte Anna ja ihre Telefonrechnungen nicht bezahlt. Dieser Kommentar brachte Erica zum Kochen, und sie legte brüsk auf. Wenn sie sich zuvor noch nicht genug Sorgen gemacht hatte, dann jetzt bestimmt.
Sie versuchte Patrik anzurufen, um ihn um Rat zu fragen oder zumindest beruhigt zu werden, aber er meldete sich weder am Handy noch bei seiner Direktnummer. Sie rief die Zentrale an, aber Annika sagte nur, daß er dienstlich unterwegs sei und sie nicht wüßte, wann er zurückkäme.
Hektisch wählte Erica immer weiter. Das dumpfe Gefühl wollte nicht verschwinden. Gerade als sie im Begriff war aufzugeben, antwortete jemand auf Annas Handy.
»Hallo?« Eine Kinderstimme. Das muß Emma sein, dachte Erica.
»Hallo, Liebling, hier ist Tante Erica. Du, wo seid ihr denn?«
»In Stockholm«, lispelte Emma. »Ist das Baby schon gekommen?«
Erica lächelte. »Nein, noch nicht. Du, Emma, könntest du mir Mama geben?«
Emma ignorierte die Frage. Wo sie nun schon das unglaubliche Glück hatte, Mamas Handy erwischt zu haben und jetzt telefonieren zu können, hatte sie nicht die Absicht, das Ding so ohne weiteres wieder herzugeben.
»Weißt du waaaas?« sagte Emma.
»Nein, das weiß ich nicht«, sagte Erica, »aber Liebling, wir reden später darüber, ich würde jetzt unheimlich gern mit Mama sprechen.« Ihr ging allmählich die Geduld aus.
»Weißt du waaaas?« wiederholte Emma störrisch.
»Nein, was denn?« seufzte Erica
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