Der Prediger von Fjällbacka
lassen, bis sie nur noch ein Schatten ihrer selbst war, und als sie dort im Bett lag und seine Hand hielt, wußte er, daß der Tag gekommen war, an dem er allein zurückbleiben würde. Nach Stunden des Wachens hatte sie seine Hand ein letztes Mal gedrückt, und dann hatte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Zugleich war ein Licht in Linneas Augen aufgeflammt, ein Licht, das er seit zehn Jahren nicht gesehen hatte - nicht, seit sie Mona das letzte Mal angeschaut hatte. Sie hielt den Blick auf etwas hinter ihm geheftet und starb. Da wußte er es sicher. Linnea war glücklich gestorben, weil die Tochter ihr im Tunnel entgegenkam. In vieler Hinsicht ließ ihn das die Einsamkeit leichter ertragen. Jetzt waren wenigstens die beiden zusammen, die er am meisten geliebt hatte. Es war nur eine Zeitfrage, bis er mit ihnen vereint wäre. Jenem Tag sah er entgegen, aber bis dahin war es seine Pflicht, das eigene Leben nach bestem Vermögen zu leben. Der Herr hatte wenig Verständnis für jene, die sich drückten, und er wagte nichts zu tun, was seinen Platz im Himmel an Linneas und Monas Seite gefährden konnte.
Ein Klopfen an der Tür riß ihn aus seinen melancholischen Gedanken. Mühsam erhob er sich aus dem Sessel und kämpfte sich, gestützt auf den Stock, durch das Grün, dann durch den Flur und bis zur Haustür vor. Ein ernster junger Mann stand davor, die Hand gerade zum nochmaligen Klopfen erhoben.
»Albert Thernblad?«
»Ja, das bin ich. Aber ich will nichts haben, falls er irgendwas verkaufen will.«
Der Mann lächelte. »Nein, ich verkaufe nichts. Ich heiße Patrik Hedström, und ich komme von der Polizei. Könnte ich vielleicht einen Moment reinkommen?«
Albert sagte nichts, aber trat beiseite, um ihn einzulassen. Er führte ihn in die Veranda hinaus und bedeutete ihm, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Er hatte nicht nach dem Anliegen gefragt. Das brauchte er nicht. Auf diesen Besuch hatte er über zwanzig Jahre gewartet.
»Was für phantastische Pflanzen. Hier waltet wirklich ein grüner Finger, das kann ich sehen.« Patrik lachte nervös.
Albert sagte nichts, aber schaute Patrik mit sanften Augen an. Er verstand, daß es für den Polizisten nicht einfach war, in dieser Angelegenheit herzukommen, aber der Mann brauchte sich keine Gedanken zu machen. Nach all den Jahren des Wartens war es ein Segen, endlich Bescheid zu erhalten. Getrauert hatte er schließlich ohnehin.
»Ja, die Sache ist die, daß wir Ihre Tochter gefunden haben.«
Patrik räusperte sich und fing von vorn an. »Wir haben Ihre Tochter gefunden und können bestätigen, daß sie ermordet worden ist.«
Albert nickte nur. Zugleich verspürte er einen inneren Frieden. Endlich würde er sie zur Ruhe betten können. Ein Grab haben, zu dem er gehen konnte. Er würde sie mit Linnea zusammenlegen.
»Wo hat man sie gefunden?«
»In der Königsschlucht.«
»In der Königsschlucht?« Albert runzelte die Stirn. »Wenn sie dort gelegen hat, wieso ist sie dann nicht früher entdeckt worden? Dort laufen doch so viele Leute rum.«
Patrik Hedström erzählte ihm von der ermordeten deutschen Touristin und daß sie vermutlich auch Siv gefunden hatten. Daß sie glaubten, jemand habe Mona und Siv zur Nachtzeit dorthin gebracht, aber daß sie all die Jahre eigentlich woanders gelegen hatten.
Albert begab sich nicht mehr häufig unter Menschen, also hatte er im Unterschied zum übrigen Fjällbacka nichts vom Mord an dem jungen Mädchen gehört. Das erste, was er verspürte, als er vom Schicksal des Mädchens erfuhr, war ein Hieb in der Magengegend. Irgendwo würde jemand denselben Schmerz erleiden wie er und Linnea. Irgendwo gab es einen Vater und eine Mutter, die ihre Tochter nie mehr wiedersehen würden. Das überschattete die erhaltenen Neuigkeiten. Verglichen mit der Familie des toten Mädchens, konnte er sich glücklich schätzen. Für ihn hatte der Kummer seine scharfen Kanten verloren, war nur noch ein dumpfes Gefühl. Diese Leute hatten viele Jahre vor sich, bevor auch sie so weit gelangten, und er empfand tiefes Mitleid mit ihnen.
»Weiß man, wer das getan hat?«
»Leider nicht. Aber wir werden alles, was in unserer Macht steht, tun, um es herauszufinden.«
»Weiß man, ob es dieselbe Person ist?«
Der Polizist ließ den Kopf hängen. »Nein, nicht mal das wissen wir bisher sicher. Es gibt gewisse Übereinstimmungen, das ist alles, was ich im Moment sagen kann.«
Patrik schaute den alten Mann beunruhigt an. »Gibt es jemanden, den ich
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