Der Prediger von Fjällbacka
Koffeinspiegel ist langsam im roten Bereich. Willst du auch eine Tasse?«
Patrik nickte, und ein paar Minuten später kam Martin zurück, in jeder Hand einen Becher dampfenden Kaffee. Ausnahmsweise war das Wetter mal geeignet für heiße Getränke.
Patrik fuhr mit seiner Erläuterung fort. »Johannes und Gabriel sind die Söhne eines Mannes namens Ephraim Hult, auch >der Prediger< genannt. Ephraim war ein äußerst bekannter oder, wenn man so will, berüchtigter Freikirchenpastor in Göteborg. Er hielt große Meetings ab, auf denen er seine Söhne, die damals noch klein waren, in Zungen reden und Kranke und Gebrechliche gesunden ließ. Die meisten sahen in ihm einen Betrüger und Scharlatan. Dann landete er einen Volltreffer. Als eine der Damen seiner treuen Gemeinde, Margareta Dybling, starb, erbte er alles, was sie besaß. Außer einem erheblichen Barvermögen hinterließ sie ihm auch große Waldgebiete sowie ein stattliches Gutshaus in der Gegend von Fjällbacka. Ephraim verlor plötzlich jede Lust, Gottes Wort zu predigen, zog mit seinen Söhnen hierher, und von da an hat die Familie vom Geld der Alten gelebt.«
Die Tafel war jetzt mit Notizen vollgekritzelt, und Papiere lagen überall auf Patriks Schreibtisch verstreut.
»Nicht, daß ein bißchen Familiengeschichte nicht interessant wäre, aber was hat das mit unseren Fällen zu tun? Wie du erwähnt hast, ist Johannes mehr als zwanzig Jahre vor Tanjas Ermordung gestorben, und tote Männer morden nicht, hast du ja selber so treffend gesagt.« Martin fiel es schwer, seine Ungeduld zu verbergen.
»Stimmt schon, aber ich bin das gesamte alte Material durchgegangen, und Gabriels Zeugenaussage ist wirklich das einzig Interessante, was ich darin finden konnte. Ich hatte auch gehofft, mit Errold Lind reden zu können, der damals die Ermittlung geleitet hat, aber er ist leider 1989 an Herzinfarkt gestorben, also ist dieses Material hier alles, was uns zur Verfügung steht. Soweit du keine besseren Vorschläge hast, sollten wir vielleicht damit anfangen, etwas mehr über Tanja herauszufinden, während wir gleichzeitig mit den Eltern von Siv und Mona reden, sofern sie noch leben. Hinterher werden wir dann entscheiden, ob es Sinn hat, noch einmal mit Gabriel Hult zu sprechen.«
»Das klingt vernünftig. Womit soll ich anfangen?«
»Nimm du die Tanja-Nachforschungen in die Hand. Und kümmere dich darum, daß Gösta von morgen an auch einbezogen wird. Jetzt ist Schluß mit den schönen Tagen.«
»Und wie sieht’s mit Mellberg und Ernst aus? Was hast du dir bei ihnen gedacht?«
Patrik seufzte. »Meine Strategie besteht darin, sie möglichst aus dem Ganzen rauszuhalten. Das bringt zwar eine größere Arbeitsbelastung für uns drei, aber ich glaube, auf die Dauer ist das nur nützlich. Mellberg ist froh, wenn er nichts tun muß, und außerdem hat er sich im Prinzip von der Ermittlung verabschiedet. Ernst kann weitermachen wie bisher, indem er soviel wie möglich von den laufenden Angelegenheiten übernimmt. Wenn er Hilfe braucht, dann schicken wir Gösta, du und ich sollten, soweit es geht, für diese Ermittlung frei bleiben. Hast du verstanden?«
Martin nickte eifrig. »Yes, Boss.«
»Dann legen wir los.«
Als Martin das Zimmer verlassen hatte, setzte sich Patrik mit dem Gesicht zur Tafel, verschränkte die Hände hinterm Kopf und versank in tiefe Gedanken. Es war eine gigantische Aufgabe, die da vor ihnen lag, und sie hatten hier mit Mordfällen kaum Erfahrung. Eine plötzliche Mutlosigkeit überkam ihn, und er war nahe daran zu verzagen. Er hoffte innigst, daß das, was ihnen an Erfahrung fehlte, durch Enthusiasmus ersetzt werden konnte. Martin war bereits voll engagiert, und der Teufel sollte ihn holen, wenn es ihm nicht gelingen würde, auch Flygare aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Schafften sie es darüber hinaus noch, Mellberg und Ernst von den Ermittlungen fernzuhalten, dann, glaubte Patrik, hatten sie vielleicht eine Chance, die Morde aufzuklären. Groß war sie allerdings nicht, besonders wenn man bedachte, daß die Spur bei zwei von den Fällen schon so kalt war, daß sie fast tiefgefroren genannt werden konnte. Er wußte, die beste Chance hatten sie, wenn sie sich auf Tanja konzentrierten, aber zugleich sagte ihm sein Instinkt, daß es einen so starken, offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Morden gab, daß man die Fälle parallel bearbeiten mußte. Es würde nicht leicht sein, die alte Ermittlung wieder anzukurbeln, aber sie mußten es
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