Der Prediger von Fjällbacka
herschiebend, ging Erica die Stege entlang. Es war äußerst ungewöhnlich, daß man zu dieser Zeit des Jahres Lücken bei den Bootsliegeplätzen fand. Normalerweise lagen die Segelboote in zwei, ja sogar in drei Reihen hintereinander. Aber der Mord an Tanja hatte einen Teil der Segler dazu gebracht, andere Häfen aufzusuchen. Erica hoffte wirklich, daß Patrik und seine Kollegen die Sache bald in den Griff bekamen, denn sonst würde es ein harter Winter werden für viele von denen, die ihren Lebensunterhalt mit den Sommereinkünften bestritten.
Anna und Gustav hatten es jedoch vorgezogen, gegen den Strom zu schwimmen und ein paar Tage zusätzlich in Fjällbacka zu verbringen. Als Erica das Boot sah, kapierte sie, warum es ihr nicht gelungen war, die Schwester und ihren Freund zu überreden, bei ihr und Patrik im Haus zu wohnen. Das Boot war einfach prächtig. Blendendweiß mit einem Deck aus Holz und groß genug, um mindestens noch zwei weitere Familien aufnehmen zu können, thronte es ganz am Ende des Stegs.
Anna winkte erfreut, als sie Erica näher kommen sah, und half ihr an Deck. Erica war gehörig außer Atem, als sie sich ins Cockpit setzte, und bekam von ihrer Schwester sofort ein großes Glas kalte Cola serviert.
»Gegen Ende hat man die Sache ziemlich satt, stimmt’s?«
Erica verdrehte die Augen. »Und ob. Aber ich vermute, das hat die Natur wohl so eingerichtet, damit man die Entbindung herbeisehnt. Wenn es bloß nicht so heiß wäre.« Sie wischte sich mit einer Serviette die Stirn, aber fühlte kurz darauf, daß sich neue Schweißperlen bildeten und ihr die Schläfen hinunterliefen.
»Du Ärmste.« Anna lächelte mitleidig.
Gustav kam aus der Kajüte und begrüßte Erica zuvorkommend. Er war genauso untadelig gekleidet wie beim letztenmal, und seine weißen Zähne blitzten in dem braungebrannten Gesicht. In mißbilligendem Ton sagte er zu Anna: »Das Frühstück steht unten noch immer auf dem Tisch. Ich habe dir doch gesagt, ich möchte, daß du hier auf dem Boot ein bißchen auf Ordnung achtest. Das funktioniert sonst nicht.«
»O entschuldige. Ich mache es gleich.«
Das Lächeln verschwand aus Annas Gesicht, und mit gesenktem Blick eilte sie in die unteren Regionen des Bootes. Gustav nahm mit einem kalten Bier in der Hand neben Erica Platz.
»Man kann auf einem Boot nicht wohnen, wenn man nicht für Ordnung sorgt. Besonders mit Kindern, sonst gibt es ein einziges Durcheinander.«
Erica fragte sich im stillen, warum er das Frühstück nicht selbst hatte wegräumen können, wenn das nun schon eine so große Sache war. Er schien seine Arme ja trotz allem bewegen zu können.
Die Stimmung zwischen ihnen war etwas gedrückt, und Erica spürte, wie sich der Abgrund, der durch die Unterschiede in Herkunft und Erziehung bedingt war, immer weiter auftat. Sie sah sich gezwungen, das Schweigen zu brechen.
»Ein wirklich tolles Boot.«
»Ja, das ist eine richtige Schönheit.« Gustav platzte fast vor Stolz. »Ich habe es von einem guten Freund ausgeliehen, aber jetzt bin ich richtig wild darauf, mir selbst eins anzuschaffen.«
Wieder Schweigen. Erica war dankbar, als Anna zu ihnen zurückkam und sich neben Gustav setzte. Sie stellte das Trinkglas, das sie mitgebracht hatte, auf die andere Seite. Eine Falte zeigte sich zwischen Gustavs Brauen.
»Kannst du das Glas da bitte wegnehmen. Das hinterläßt Flecke auf dem Holz.«
»Entschuldige.« Anna bat mit dünner Stimme um Nachsicht. Sie nahm das Glas schnell wieder an sich.
»Emma.« Gustav verlagerte seine Aufmerksamkeit von der Mutter auf die Tochter. »Ich habe doch gesagt, daß du nicht mit dem Segel spielen sollst. Geh dort sofort weg.« Annas vierjährige Tochter stellte sich taub und ignorierte ihn total. Gustav war im Begriff, sich zu erheben, als Anna aufsprang.
»Ich kümmere mich um sie. Sie hat dich bestimmt nur nicht gehört.«
Das Kind brüllte vor Wut, weil es dort weggeholt wurde, und setzte seine böseste Schmollmiene auf, als Anna es mit zu den Erwachsenen nahm.
»Du bist blöd.« Emma stieß Gustav mit dem Fuß gegen das Schienbein, und Erica lächelte verstohlen.
Gustav nahm Emma beim Arm, um sie auszuschimpfen, und zum erstenmal sah Erica einen Funken in Annas Augen aufblitzen. Sie riß Gustavs Hand weg und zog Emma an sich.
»Du faßt sie nicht an!«
Er hob abwehrend die Hände. »Entschuldige, aber deine Kinder sind schrecklich wild, jemand muß ihnen doch ein bißchen Manieren beibringen.«
»Meine Kinder sind bestens
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