Der Prediger von Fjällbacka
erzogen, vielen Dank, und um die Erziehung kümmere ich mich selber. Kommt jetzt, wir gehen rüber zu >Ackes< und kaufen Eis.«
Sie nickte Erica auffordernd zu, die mehr als froh war, ihre Schwester und deren Kinder ein Weilchen für sich zu haben, ohne den Herrn von Protz. Sie setzten Adrian in den Wagen, und Emma durfte fröhlich vor ihnen her hüpfen.
»Sag mal, findest du, daß ich zu empfindlich reagiere? Er hat sie ja nur am Arm angefaßt? Ich meine, ich weiß ja, daß ich durch Lucas bei den Kindern ein bißchen übervorsichtig geworden bin …«
Erica hakte ihre Schwester unter. »Ich finde dich kein bißchen übervorsichtig. Meiner Meinung nach verfügt deine Tochter über außerordentliche Menschenkenntnis, und du hättest es ruhig zulassen können, daß sie ihm einen ordentlichen Tritt gegen das Schienbein versetzt.«
Annas Gesicht verfinsterte sich. »Jetzt finde ich, daß du ein bißchen übertreibst. So schlimm ist es auch wieder nicht gewesen, wenn ich es recht bedenke. Ist man nicht an Kinder gewöhnt, ist es kein Wunder, wenn man unter Streß gerät.«
Erica seufzte. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, die Schwester würde endlich ein bißchen Rückgrat beweisen und die Behandlung verlangen, die ihr und den Kindern zustand, aber Lucas hatte gründliche Arbeit geleistet.
»Wie läuft es mit dem Streit um das Sorgerecht?«
Anna sah zuerst aus, als wollte sie die Frage wieder einmal abtun, antwortete dann aber mit leiser Stimme: »Es läuft überhaupt nicht. Lucas hat beschlossen, alle miesen Tricks zu nutzen, auf die er nur kommen kann, und das hier, also daß ich Gustav kennengelernt habe, hat ihn nur noch wütender gemacht.«
»Aber er hat doch wohl nichts in der Hand? Ich meine, womit könnte er es begründen wollen, daß du eine schlechte Mutter bist? Wenn einer gute Gründe hat, ihm das Sorgerecht streitig zu machen, dann bist das ja wohl du!«
»Ja, aber Lucas scheint zu glauben, daß auf jeden Fall etwas hängenbleibt, wenn er sich nur genug einfallen läßt.«
»Aber was ist mit deiner Anzeige gegen ihn, also wegen Kindesmißhandlung? Müßte die nicht schwerer wiegen als alles, was er zusammenlügen kann?«
Anna gab keine Antwort, und ein schrecklicher Verdacht tauchte in Ericas Gehirn auf.
»Du hast ihn nie angezeigt, oder? Du hast mir direkt ins Gesicht gelogen, als du gesagt hast, du hättest ihn angezeigt. Aber getan hast du es nie.«
Die Schwester traute sich nicht, ihrem Blick zu begegnen.
»Ja, was ist, antworte mir jetzt. Stimmt es? Habe ich recht?«
Annas Antwort klang unwirsch. »Ja, du hast recht, meine liebe große Schwester. Aber du kannst mich nicht verurteilen. Du hast nicht in meiner Haut gesteckt, also weißt du einen Scheißdreck darüber, wie so was ist. Ständig in Angst leben zu müssen vor dem, was er sich einfallen lassen kann. Hätte ich ihn angezeigt, hätte er mich verfolgt, bis ich nicht mehr hätte fliehen können. Ich hatte gehofft, daß er uns in Ruhe läßt, wenn ich nicht zur Polizei gehe. Und zuerst schien das ja auch zu funktionieren, oder?«
»Ja, sicher, aber jetzt funktioniert es nicht mehr. Mensch, Anna, du mußt lernen, weiter zu denken, als deine Nase reicht.«
»Du hast leicht reden! Sitzt da so sicher und geborgen, wie man es sich überhaupt nur wünschen kann, mit einem Mann, der dich anbetet und dir nie weh tun würde und jetzt nach dem Buch über Alex auch noch mit Geld auf der Bank. Für dich ist es superleicht, so was zu sagen! Du weißt nicht, wie es ist, allein mit zwei Kindern dazustehen und sich abzurackern, um ihnen das tägliche Essen und die Kleider zum Anziehen zu beschaffen. Bei dir läuft immer alles so wahnsinnig gut, und denke nicht, daß ich nicht gesehen habe, wie du Gustav von oben herab gemustert hast. Du glaubst, so verdammt viel zu wissen, aber du weißt überhaupt nichts!«
Anna gab Erica keine Chance, auf ihre Attacke zu reagieren, sondern verschwand fast rennend in Richtung Markt, Emma fest an der Hand und Adrian im Wagen schiebend. Erica blieb allein auf dem Bürgersteig zurück, war dem Weinen nahe und fragte sich, wie alles hatte so schieflaufen können. Es war von ihr doch nicht böse gemeint. Das einzige, was sie wollte, war, daß es Anna so gut gehen sollte, wie sie es verdiente.
Jacob küßte seiner Mutter die Wange und gab seinem Vater förmlich die Hand. Die Beziehung zwischen ihnen beiden war noch nie anders gewesen. Eher distanziert und korrekt als warm und herzlich. Es war eigenartig,
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