Der Prediger von Fjällbacka
in den Bann ziehen konnte. Die Teile der Geschichten, die er am meisten geliebt hatte, waren jene, in denen Ephraim von den Wundertaten berichtete, die Gabriel und Johannes vollbracht hatten. Jeder Tag hatte ein neues Mirakel herbeigeführt, und Jacob erschien es als etwas vollkommen Wunderbares. Er hatte nie begriffen, warum sein Vater nicht über diese Zeit seines Leben sprechen wollte, ja sich dafür sogar zu schämen schien. Sich vorzustellen, daß man die Gabe hatte zu heilen! Kranke gesund zu machen und Krüppel auf die Beine zu bringen. Wieviel Trauer die Brüder empfunden haben mußten, als die Gabe verschwand. Laut Ephraim war sie von einem Tag auf den anderen weg gewesen. Gabriel hatte mit den Schultern gezuckt, aber Johannes war verzweifelt gewesen. Abend für Abend flehte er zu Gott, ihm die Gabe zurückzugeben, und sobald er ein verletztes Tier sah, rannte er hin und versuchte die Kraft heraufzubeschwören, die er einmal besessen hatte.
Jacob verstand nie, warum Ephraim auf so lustige Weise lachte, wenn er von dieser Zeit berichtete. Für Johannes mußte es ein großer Kummer gewesen sein, und das hätte ein Mann, der Gott so nahestand wie der Prediger, doch verstehen müssen. Aber Jacob liebte seinen Großvater und stellte nicht in Frage, was er sagte oder wie er es sagte. In seinen Augen war der Großvater unfehlbar. Schließlich hatte er ihm das Leben gerettet. Vielleicht nicht durch Handauflegen, aber indem er Jacob etwas aus seinem eigenen Körper gespendet und ihm auf diese Weise wieder Leben eingegeben hatte. Dafür verehrte er ihn.
Aber das Beste von allem waren die Worte, mit denen Ephraim seine Geschichten stets beendete. Er pflegte dramatisch zu verstummen, sah dem Enkelsohn tief in die Augen und sagte: »Und du, Jacob, du hast die Gabe auch in dir. Irgendwo, tief dort drinnen, wartet sie darauf, hervorgelockt zu werden.«
Jacob liebte diese Worte.
Die Gabe hervorzulocken war ihm nie geglückt, aber es reichte ihm, zu wissen, daß der Großvater gesagt hatte, es gebe diese Kraft dort. Als er krank geworden war, hatte er die Augen geschlossen und versucht, sie herbeizurufen, um sich selbst zu heilen, doch wenn er die Augen zugemacht hatte, war da nur Dunkelheit gewesen, dieselbe Dunkelheit, die ihn jetzt mit eisernem Griff gepackt hielt.
Vielleicht hätte er zu der Kraft finden können, wenn der Großvater länger gelebt hätte. Gabriel und Johannes hatte er es ja auch beigebracht, also wieso sollte es bei ihm nicht gelingen?
Die lauten Schreie eines Vogels weckten ihn aus seinen Grübeleien. Die Dunkelheit in ihm lag erneut wie ein enges Band um sein Herz, und er fragte sich, ob es sich so stark zuziehen konnte, daß es das Herz zum Stillstand brachte. In letzter Zeit war die Dunkelheit öfter gekommen und zugleich schwärzer geworden als je zuvor.
Er zog die Beine in den Sessel hoch und schlang die Arme um die Knie. Wenn nur Ephraim hier gewesen wäre. Dann hätte er ihm helfen können, das heilende Licht zu finden.
»Wir gehen in dieser Phase davon aus, daß Jenny Möller nicht freiwillig fernbleibt. Wir möchten auch die Öffentlichkeit um Hilfe ersuchen und bitten darum, daß man sich bei uns meldet, falls sie gesehen worden ist, insbesondere wenn sie sich in einem Auto oder in dessen Nähe aufgehalten hat. Nach den uns vorliegenden Angaben hatte sie die Absicht, nach Fjällbacka zu trampen, und alle Beobachtungen im Zusammenhang damit sind von größtem Interesse.«
Patrik schaute jedem einzelnen der versammelten Journalisten ernst in die Augen. Gleichzeitig ließ Annika das Foto von Jenny Möller herumgehen, damit es alle Zeitungen abdruckten. Das machte man nicht immer so, aber in dieser Phase konnte ihnen die Presse von Nutzen sein.
Zu Patriks großer Verwunderung war der Vorschlag, daß er selbst die kurzfristig einberufene Pressekonferenz abhalten sollte, von Mellberg gekommen. Der saß im Hintergrund des kleinen Sitzungszimmers im Revier und beobachtete Patrik, der vor den Versammelten stand.
Mehrere Hände waren in die Luft gereckt.
»Hat das Verschwinden von Jenny irgendeinen Zusammenhang mit dem Mord an Tanja Schmidt? Und haben Sie etwas gefunden, das diesen Mord mit dem Wiederauffinden von Mona Thernblad und Siv Lantin verbindet?«
Patrik räusperte sich. »Erstens gibt es noch keine sichere Identifizierung von Siv Lantin, also wäre ich dankbar, wenn Sie nicht darüber schreiben würden. Ansonsten möchte ich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht
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