Der Prediger von Fjällbacka
Kerstin ließ ihn gewähren, und als der Zorn in Weinen überging, stand sie wortlos auf und schlang die Arme um ihn. Schweigend standen sie da, lange Zeit, endlich vereint in ihrer Angst und der Trauer, die sie, obwohl sie sich an die Hoffnung klammerten, schon im voraus verspürten.
Kerstin fühlte noch immer das Gewicht des Säuglings in ihren Armen.
Diesmal schien die Sonne, als er auf Norra Hamngatan entlangging. Patrik zögerte eine Sekunde, aber dann besann er sich auf seine Pflicht und klopfte nachdrücklich ein paarmal an die Tür. Niemand öffnete. Er versuchte es ein zweites Mal, noch nachdrücklicher. Noch immer keine Antwort. Typisch, er hätte anrufen sollen, bevor er herfuhr. Aber als Martin gekommen war und erzählt hatte, was Tanjas Vater ihm berichtet hatte, war er sofort aufgebrochen. Er schaute sich um. Vor dem Nachbarhaus pusselte eine Frau an ihren Blumentöpfen.
»Entschuldigung, wissen Sie, wo Struwers sind? Das Auto steht hier, also nehme ich an, daß sie zu Hause sind.«
Sie unterbrach ihre Beschäftigung und nickte. »Sie sind im Bootshaus.« Sie wies mit ihrer kleinen Gartenschaufel auf einen der roten Bootsschuppen, die aufs Meer hinaus gingen.
Patrik bedankte sich und stieg eine kleine Steintreppe hinunter, die zur Vorderseite des Schuppens führte. Ein Liegestuhl stand auf dem Anlegesteg, und er sah, daß Gun sich in einem minimalen Bikini der Sonne präsentierte. Er bemerkte, daß sie am ganzen Körper genauso pfefferkuchenbraun war wie im Gesicht und auch ebenso runzlig. Manche Leute kümmerten sich anscheinend nicht um das Risiko, Hautkrebs zu bekommen. Er räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Guten Tag, entschuldigen Sie, daß ich hier so am Vormittag störe, aber könnte ich vielleicht ein paar Worte mit Ihnen wechseln?« Patrik bediente sich seines formellen Tons, wie immer, wenn er einen traurigen Bescheid zu übermitteln hatte. Er kam als Polizist, nicht als Mensch, das war die einzige Möglichkeit, um hinterher nach Hause gehen zu können und ruhig zu schlafen.
»Ja, sicher.« Die Antwort klang wie eine Frage. »Einen Augenblick, ich will mir nur was überziehen.« Sie verschwand im Bootsschuppen.
Patrik setzte sich solange an einen Tisch und gestattete sich, einen Moment die Aussicht zu genießen. Der Hafen war leerer als gewöhnlich, aber das Meer glitzerte, und über den Stegen zogen die Möwen unberührt ihre Kreise auf der Jagd nach Futter. Es dauerte eine ganze Weile, aber als Gun endlich wieder erschien, trug sie Shorts und ein Top und hatte Lars im Schlepptau. Er begrüßte Patrik mit ernstem Gesicht und nahm zusammen mit seiner Frau am Tisch Platz.
»Was ist passiert? Haben Sie den Kerl erwischt, der Siv ermordet hat?« Guns Stimme klang eifrig.
»Nein, ich bin nicht aus diesem Grund hier.« Patrik machte eine Pause und überlegte, wie er fortfahren sollte. »Die Sache ist die, daß wir heute morgen mit dem Vater der jungen Deutschen gesprochen haben, die wir zusammen mit Siv aufgefunden hatten.« Erneut eine Pause.
Gun hob fragend die Brauen: »Ja?«
Patrik nannte den Namen von Tanjas Vater und wurde von Guns Reaktion nicht enttäuscht. Sie fuhr zusammen und schnappte nach Luft. Lars schaute sie fragend an, nicht ausreichend informiert, um den Zusammenhang zu begreifen.
»Aber das ist doch Malins Papa. Was sagen Sie da? Malin ist doch tot?«
Es war schwer, sich diplomatisch auszudrücken. Aber schließlich war es nicht seine Aufgabe, hier den Diplomaten zu spielen. Patrik beschloß, ganz einfach zu sagen, wie es sich verhielt.
»Sie ist nicht gestorben. Er hatte es nur behauptet. Nach seiner eigenen Aussage meinte er offensichtlich, daß Ihr Wunsch nach Entschädigung ein bißchen, wie soll ich sagen, ja - lästig zu werden begann. Deshalb hat er die Geschichte erfunden, daß Ihr Enkelkind umgekommen ist.«
»Aber das Mädchen, das hier gestorben ist, hieß doch Tanja, nicht Malin?« Gun machte ein fragendes Gesicht.
»Anscheinend hat er auch ihren Namen geändert, in einen mehr deutsch klingenden. Aber es besteht kein Zweifel, daß Tanja Ihre Enkeltochter Malin ist.«
Ausnahmsweise blieb Gun Struwer stumm. Dann sah Patrik, daß sie zu kochen begann. Lars legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie ab.
»Verdammt, was glaubt er eigentlich, wer er ist! Hast du schon mal so was Unverschämtes gehört, Lars! Mir direkt ins Gesicht zu lügen und zu erklären, daß meine Enkeltochter, mein eigen Fleisch und
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