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Der Prediger von Fjällbacka

Der Prediger von Fjällbacka

Titel: Der Prediger von Fjällbacka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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des Mädchens verebbte, kam eine Sturzflut von Fragen. Sie hatte keine Antworten für sie. Statt dessen versuchte sie zu erklären, wie wichtig es war, einfach nachzugeben, nicht gegen das unbekannte Böse anzukämpfen. Aber das Mädchen wollte nicht verstehen. Es weinte und fragte, bettelte und betete zu einem Gott, an den sie selbst keinen einzigen Augenblick geglaubt hatte, mit Ausnahme vielleicht irgendwann in der Kindheit. Aber zum erstenmal ertappte sie sich dabei, daß sie hoffte, sich zu irren und daß es tatsächlich einen Gott gab. Wie sollte sich sonst das Leben für ihr Kind gestalten, ohne Mutter und ohne Gott, an die es sich wenden konnte. Es war wegen der Tochter gewesen, daß sie der Angst nachgegeben, sich einfach sinken gelassen hatte, und die Art des anderen Mädchens, sich aufzulehnen, weckte Zorn in ihr. Immer und immer wieder versuchte sie zu erklären, daß es nichts nützte, aber das Mädchen wollte nicht auf sie hören. Bald würde auch sie von ihrem Kampfgeist angesteckt sein, und dann dauerte es nicht lange, bevor auch die Hoffnung wiederkehrte und sie verwundbar machte.
    Sie hörte, wie die Luke weggezogen wurde und sich Schritte näherten. Hastig schob sie das Mädchen weg, das mit dem Kopf auf ihrem Schoß lag. Vielleicht hatte sie Glück, vielleicht würde er diesmal der anderen weh tun und nicht ihr.
     
    Die Stille war ohrenbetäubend. Jennys Geplapper hatte den engen Raum des Wohnwagens früher stets ausgefüllt, aber jetzt herrschte nur Schweigen. Sie saßen sich an dem kleinen Tisch gegenüber, jeder eingeschlossen in seine eigenen Gedanken, in seine eigene Welt der Erinnerung.
    Siebzehn Jahre flimmerten rasch vorbei wie auf einem inneren Film. Kerstin spürte das Gewicht der kleinen neugeborenen Jenny an ihrer Brust. Unbewußt formte sie die Arme zu einer Wiege. Das Kind wuchs heran, und jetzt hinterher schien es, als sei das alles sehr schnell gegangen. Viel zu schnell. Warum hatten sie in letzter Zeit so viele der kostbaren Stunden mit Zank und Streit verschwendet? Wenn sie gewußt hätte, was passieren würde, hätte sie zu Jenny kein einziges böses Wort gesagt. Wie sie jetzt dort am Tisch saß, im Herzen ein tiefes Loch, schwor sie sich, nie mehr die Stimme gegen Jenny zu erheben, wenn alles nur wieder gut werden würde.
    Bo schien das Spiegelbild ihres eigenen inneren Chaos zu sein. In nur wenigen Tagen war er um ein Jahrzehnt gealtert, und sein Gesicht war zerfurcht und resigniert. Jetzt war die Zeit, wo sie sich zueinander strecken, sich aneinander lehnen sollten, aber die Angst bewirkte, daß sie wie gelähmt waren.
    Die Hände auf dem Tisch zitterten. Bo faltete sie in dem Versuch, das Vibrieren zu bekämpfen, aber ließ es rasch sein, weil es aussah, als würde er beten. Noch wagte er es nicht, irgendwelche höheren Mächte anzurufen. Das würde ihn zwingen, das anzuerkennen, was er noch nicht an sich heranzulassen wagte. Er klammerte sich an die sinnlose Hoffnung, daß die Tochter sich in irgendein leichtsinniges Abenteuer gestürzt hatte. Doch tief im Inneren wußte er, daß zuviel Zeit vergangen war, als daß man so etwas annehmen konnte. Jenny war viel zu rücksichtsvoll und liebevoll, als daß sie ihnen wissentlich derartige Sorgen bereiten würde. Sicher hatten sie auch Auseinandersetzungen gehabt, besonders in den letzten zwei Jahren, doch war er sich immer des starken Bandes bewußt, das es zwischen ihnen gab. Er hatte nie daran gezweifelt, daß Jenny ihre Eltern liebte, und die einzige Antwort, warum sie nicht nach Hause kam, konnte nur eine schreckliche sein. Es war etwas passiert. Jemand hatte ihrer geliebten Jenny etwas angetan. Er brach das Schweigen. Die Stimme versagte, und er war gezwungen, sich zu räuspern, bevor er weiterreden konnte.
    »Wollen wir noch mal bei der Polizei anrufen und hören, ob sie etwas in Erfahrung gebracht haben?«
    Kerstin schüttelte den Kopf. »Wir haben doch heute schon zweimal angerufen. Die melden sich, wenn sie was wissen.«
    »Aber zum Teufel, wir können doch nicht nur hier rumsitzen!« Er stand erregt auf und stieß gegen den Schrank über sich.
    »Verdammt, wie eng das hier ist! Warum mußten wir sie wieder zu einem Scheißwohnwagenurlaub überreden, sie wollte doch nicht mit! Wären wir doch nur zu Hause geblieben! Da hätte sie was mit ihren Kumpels unternehmen können, statt mit uns hier eingesperrt in dieser blöden Kiste sitzen zu müssen!«
    Er drosch auf den Schrank ein, an dem er sich den Kopf gestoßen hatte.

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