Der Preis der Ewigkeit
sie und meine Empörung ließ nach. An ihre Stelle trat pures Entsetzen. Meine Mutter nahm Abschied. Es musste so sein. Bevor sie sie im letzten Jahr wiedergesehen hatte, war meine Mutter jahrhundertelang nicht bei Persephone gewesen. Ein zweiter Besuch so bald danach konnte nur eins bedeuten.
„Mom“, flüsterte ich aufgewühlt. „Du darfst mich nicht allein lassen. Du hast es versprochen.“
„Wer redet denn hier von Verlassen, Liebes?“, entgegnete sie und strich mir das Haar aus der Stirn. Doch wir beide kannten die Wahrheit. Egal, wie viele Kampfesreden Walter schwang, egal, wie oft sie mir versicherte, dass sie nirgendwohin gehen würde – sie wusste, dass es möglich war. Und auf sie würde nicht die Unterwelt warten. Wenn Götter starben – wenn sie vergingen –, waren sie für immer fort.
Fest umklammerte ich ihre Hand. „Wir könnten doch hier unten bleiben, während die anderen kämpfen. Du wirst gar nicht fehlen. Und … und wir überlegen uns einen Weg, wie wir von hier unten aus helfen können.“
Sie schenkte mir ein trauriges Lächeln. „Schatz, du weißt genauso gut wie ich, dass der Rat gerade jede Hilfe braucht, die zu kriegen ist. Ich habe den anderen Mitgliedern gegenüber eine Verantwortung. Ich kann mich nicht einfach drücken.“
„Was ist mit deiner Verantwortung mir gegenüber?“ Meine Wangen wurden warm, während mir die Tränen in den Augen brannten. Warum musste ich ausgerechnet jetzt zusammenbrechen? „Du hast versprochen, dass du mich nie wieder verlässt.“
„Das tue ich doch auch nicht. Ich kämpfe für das, woran ich glaube“, erwiderte sie. „Ich habe nicht vor, heute zu sterben, Kate.“
Ob sie es vorhatte oder nicht, sie traf Vorkehrungen für diese Möglichkeit und das war wie ein Schlag in die Magengrube. Selbst als sie nur noch wenige Augenblicke vor dem menschlichen Tod gestanden hatte, während der Krebs die traurigen Überreste ihres Körpers verschlang, hatte meine Mutter gekämpft. Sie hatte so verdammt hart gekämpft, dass sie sämtliche Erwartungen übertroffen und Jahre länger gelebt hatte, als es hätte möglich sein sollen – ob Theo ihr nun geholfen hatte oder nicht. „Aber es könnte passieren.“
„Ja, das könnte es“, räumte sie ein. „Wie Walter schon sagte, Kronos ist ein furchtbarer Gegner, und es gibt wenig, was wir im direkten Kampf gegen ihn ausrichten können. Aber du musst dir ins Gedächtnis rufen, dass wir Jahrtausende an Erfahrung haben – und wir werden jede Sekunde davon einsetzen. Ich werde alles in meiner beachtlichen Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass ich zu dir zurückkommen kann. Um sicherzustellen, dass wir alle zurückkehren.“
Sie konnte mir das Blaue vom Himmel versprechen, aber eins ließ sie außer Acht: Kronos war unbesiegbar. Beachtliche Macht hin oder her, niemand im Rat hatte die Mittel, es mit ihm aufzunehmen und siegreich aus einem Kampf mit ihm hervorzugehen. Gemeinsam hatten sie eine Chance, aber ohne Henry, ohne Calliope, hätten sie sich genauso gut gleich ergeben können. Auf diese Weise wäre ihre Lebenserwartung höher gewesen.
Es musste doch irgendetwas geben. Der Dolch, die Waffen, die in Nicholas’ Folterkammer verstreut lagen, das waren Dinge, die wir zu unserem Vorteil nutzen könnten, aber wie? Dorthin zu gelangen, wäre der leichte Teil. Sie dem Rat zukommen zu lassen, während die Schlacht in vollem Gange war – das war eine ganz andere Geschichte.
„Und jetzt komm“, murmelte meine Mutter. „Bring uns zu deiner Schwester.“
Ich hätte alles getan, um es hinauszuzögern, hätte ich geglaubt, es könnte funktionieren. Aber wenn meine Mutter wirklich an diesem Tag sterben würde, könnte ich nicht mit der Schuld leben, ihr ihren letzten Wunsch abgeschlagen zu haben – ihre andere Tochter noch einmal zu sehen. Auch Persephone verdiente es, unsere Mutter zu sehen, trotz allem, was sie zu ihren Lebzeiten verbrochen hatte. Sie verdiente eine Chance, Abschied zu nehmen.
Wortlos hielt ich James meine freie Hand hin und stumm ergriff er sie. Sooft er auch blöde Sprüche riss, er wusste, wann er den Mund halten musste.
Eine Welt ohne James. Ich wollte es mir nicht vorstellen. Es spielte keine Rolle, dass ich ihn erst seit zwei Jahren kannte oder dass er für einen Großteil dieser Zeit ein Feind gewesen war. Die Art, wie James lachte, sein Optimismus, wie er die Welt irgendwie durch eine andere Brille betrachtete als wir anderen, dass er keine Angst hatte, er selbst zu
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