Der Preis der Ewigkeit
würde ich es eben tun.
Rhea wandte sich uns wieder zu, die Augen auf eine Weise verengt, dass es mir kalt über den Rücken lief. Verschwunden war ihr Gleichmut, an seine Stelle trat kühles Missfallen und ich wappnete mich dagegen. Sollte sie mich doch verabscheuen. Ich würde nicht nachgeben.
„Ich wäre euch so oder so keine Hilfe, was ich auch täte. Mein Ehemann ist nicht zur Vernunft zu bringen“, erklärte Rhea. „Ich werde gegen niemanden die Hand erheben. Meinen Kindern ist wesentlich besser gedient mit dem, was ich hier tue.“
„Aber deine Kinder sterben “, beschwor ich sie. „Du könntest dem ein Ende machen. Du könntest ihnen das Leben retten – du bist die Einzige, die dazu in der Lage ist. Wenn du es nicht tust, werden sie alle sterben, und zwar deinetwegen.“
Ich wusste, dass es die falschen Worte waren, sobald sie mir über die Lippen kamen, doch jetzt konnte ich sie nicht mehr zurücknehmen. Fest umklammerte ich James’ Hand, eine stumme Entschuldigung und Bitte um Hilfe. Doch er schwieg.
Rhea richtete sich auf, den machtvollen Blick direkt auf mich gerichtet. Am liebsten wäre ich unter den Busch gekrochen und gestorben. „Nein, Demeters Tochter. Sie werden deinetwegen sterben.“
Mir brannte das Gesicht, und es kostete mich all meine Kraft, nicht auf der Stelle davonzulaufen. Woher wusste sie es? Spürte sie die Schuldgefühle, die in meinem Inneren wogten, immer aufs Neue aufgewühlt von jedem Leben, das aufgrund meiner Dummheit verloren ging? „Mein Name ist Kate. Und es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Ich wusste nicht …“
„Unwissenheit ist keine Entschuldigung für die Konsequenzen, die aus ihr entstehen.“
„Glaubst du, das ist mir nicht klar?“ Heiße Tränen brannten mir in den Augen. Nie hatte ich jemanden so gehasst wie Rhea in jenem Moment. Nicht Walter. Nicht Calliope. Nicht einmal Kronos.
Nein, das stimmte nicht. Mich selbst hasste ich mehr, als ich je einen von ihnen hassen könnte.
„Er hat meinen Sohn“, brachte ich mühsam hervor. Mir zitterten die Hände. „Aus irgendeinem unerfindlichen Grund will er mich als seine Königin …“
„Nicht unerfindlich“, berichtigte Rhea und schien geradezu nervenaufreibend ruhig. „Du bist seit Jahrtausenden die Erste, die ihm Güte und Verständnis entgegengebracht hat. Selbst an der schwärzesten, verdorbensten Seele geht Barmherzigkeit nicht spurlos vorüber.“
Wie konnte sie von all dem wissen, was in der Unterwelt zwischen Kronos und mir vorgefallen war? „Dann muss dir klar sein, warum mir das so wichtig ist. Du weißt, was ich Kronos versprochen habe. Du weißt, was er mir angetan hat, der kranke …“
„Es ist mir bewusst“, unterbrach mich Rhea. „Und du hast mein Mitgefühl. In seinen Augen wirst du ihm nicht ebenbürtig, nur weil du an seiner Seite stehst, und das ist ein hartes Leben. Eines, gegen das du dich nicht wirst wehren können.“
„Ich nicht, aber du“, erinnerte ich sie. „Henry ist dein Sohn, oder? Er liegt im Sterben. Er braucht dich und stattdessen bist du hier bei vollkommen Fremden …“
„Niemand auf dieser Erde ist mir fremd.“ In ihren Augen flackerte etwas auf – wie eine seltsame Mischung aus Sonne und Ozean. „Mein Sohn leidet nicht wegen meiner Nachlässigkeit. Er kannte die Konsequenzen seiner Taten, als er sie vollbracht hat, und war bereit, dieses Risiko einzugehen, um dich zu retten.“
Mühsam holte ich Luft. Sie hörte einfach nicht zu. Sie verstand es nicht – oder vielleicht verstand sie es und es war ihr egal. „Was ist mit meinem Sohn? Er ist auch Henrys Sohn, hast du das vergessen? Und er ist dein Enkel. Sein Name ist Milo und er ist noch keine Woche alt. Womit hat er es verdient, in Kronos’ Obhut aufzuwachsen?“
Rhea sagte nichts, und ich konnte die Worte nicht aufhalten, die jetzt aus mir hervorsprudelten.
„Er wird mich niemals kennenlernen, genauso wenig wie seinen Vater. Wenn er aufwächst, wird er die Schlampe, die mich entführt hat, seine Mutter nennen und den Egomanen, der Millionen Menschen getötet hat, seinen Vater. Und er wird keine Ahnung haben, dass ich da draußen bin und ihn in einer Sekunde mehr liebe, als sie es in einer Ewigkeit könnten. Was, um alles in der Welt, hat er getan, um das zu verdienen?“
„Nichts“, erwiderte Rhea leise. „Dein Sohn hat nichts getan, womit er das verdient hätte, genauso wenig wie die Menschen in diesem Dorf etwas getan haben, womit sie Brutalität und Hunger verdient
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