Der Preis der Ewigkeit
gemeinsam einen Plan ausdenken können. Wir brauchten nicht die Erlaubnis des Rats, um etwas zu unternehmen, aber ich war wieder einmal losgesprintet, ohne nachzudenken. Diesmal hatte es mich meine Familie gekostet.
„Ich werde sie nie wiedersehen, oder?“, wisperte ich. Nur Zentimeter vor unseren Zehenspitzen rollten die Wellen an den Strand, und uns blieben nur noch ein paar Minuten, wenn wir das Zeitfenster für unsere Rückkehr auf den Olymp nicht verpassen wollten. Der Gedanke, ohne Henry und Milo zurückzukehren, fraß mich von innen heraus auf, bis ich nichts als Haut und Knochen war. Walter und Dylan hatten recht. Der gesamte Rat hatte recht. Ich war noch nicht bereit, ihnen zu helfen, und je mehr ich es versuchte, desto schlimmer wurde alles. Warum konnte ich nicht einfach brav abwarten? So würde ich wenigstens niemand anders in Gefahr bringen.
„Was ist mit dir passiert?“, fragte James, die Finger in mein Haar geschoben und die Lippen an meine Stirn gedrückt.
„Was meinst du?“
Er löste sich weit genug von mir, um mich ansehen zu können, und blickte mir fragend in die Augen. „Du bist nicht das Mädchen, das ich in Eden kennengelernt hab. Die ist nicht jedes Mal in Tränen ausgebrochen, wenn’s mal nicht nach ihrer Nase ging.“
„Ich breche nicht …“, setzte ich an, doch da rollte mir eine weitere Träne über die Wange. Perfektes Timing. „Meine Familie ist weg. Niemand lässt mich helfen, und jedes Mal, wenn ich es versuche, versaue ich es nur noch mehr.“
Er verschränkte seine Finger mit meinen. „Seit wann fragst du denn für irgendwas um Erlaubnis?“
Ich wischte mir die Wangen ab und sah mit zusammengekniffenen Augen in den Sonnenuntergang. „Was soll ich denn noch machen? Ich hab schon alles versucht. Mein Handel mit Kronos ist geplatzt, und selbst wenn das nicht passiert wäre, hätte ich damit nicht mehr erreicht, als Milo in Sicherheit zu bringen. An der Gesamtsituation hätte das gar nichts geändert, und jetzt werde ich sie erst wiedersehen, wenn wir diesen Krieg gewinnen.“
„Dann hilf uns, ihn zu gewinnen.“
Ich schniefte. „Wie denn?“
„Denk nach“, forderte er mich auf. „Du weißt besser als jeder andere von uns, welche Schwächen Kronos hat. Du kennst seine Stärken.“
„Das ist doch Blödsinn und das weißt du. Die Sechs haben ihn zehn Jahre lang bekämpft. Ich hab noch nicht mal Armdrücken mit ihm gemacht.“
„Nein“, stimmte James zu, „aber du bist die Einzige, die ihn je aufgehalten hat.“
Er sprach von jenem Moment in der Unterwelt, als Kronos uns durch eine Wüste gejagt hatte. Damals hatte ich auch geglaubt, ich müsste sterben. Wäre dadurch jetzt alles einfacher?
Nein, wäre es nicht, denn dann hätten die Sechs nie aus jener Höhle im Tartaros entkommen können. Sie lägen immer noch dort, bewusstlos und dahinsiechend, während Kronos und Calliope einen Weg an die Oberfläche ausfindig machten. Alles wäre anders gekommen.
Doch selbst meine eine mutige Tat war zugleich eine unglaubliche Dummheit gewesen. Kronos war frei, weil ich in seine Höhle marschiert war, obwohl Persephone mir explizit gesagt hatte, ich solle es nicht tun. Ich hatte Calliope das Druckmittel geliefert, mit dem sie Henry hatte zwingen können, das Tor weit genug zu öffnen, damit Kronos sich hinauszwängen konnte.
„Denk nach“, wiederholte James. „Warum hat Kronos dich damals nicht umgebracht?“
„Weil er mich nicht kannte“, murmelte ich. „Weil ich …“
„Weil du gut zu ihm warst, während der Rest von uns sein Bestes getan hat, um ihn weiter in Ketten zu halten.“
„Weil ich ihm versprochen habe, ich würde das Tor öffnen.“
„Ja“, sagte James. „Und er hat uns in Ruhe gelassen, weil er dir vertraut hat.“
Mir liefen noch immer die Tränen und ich stieß einen unwilligen Laut aus. „Und jetzt sieh dir mal an, was uns das gebracht hat.“
„Ganz genau. Sieh dir an, was uns deine Sturheit und deine Entschlossenheit gebracht haben. Jetzt haben wir eine Chance. Nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben, aber irgendwann hätte Calliope einen Weg gefunden, Kronos zu befreien. Sie hat so ziemlich die gesamte Ewigkeit zur Verfügung, genau wie der Rest von uns.“
Ich zog die Knie an die Brust. „Was passiert, wenn Kronos die gesamte Menschheit auslöscht und ihr alle euren Daseinszweck verliert?“
Da zögerte James und ich bekam Angst. Doch dann straffte er die Schultern und zog mich enger an sich, als könnte er mich ganz
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