Der Preis der Ewigkeit
vergangenen Nacht dehnte sich langsam ein pinkes Glühen um Ava herum aus. „Kein Wunder, dass Daddy dich nie geliebt hat. An dir ist rein gar nichts Liebenswertes. All die Jahre hab ich geglaubt, er wäre im Unrecht, so wie er dich behandelt hat, aber du hattest es verdient. Du pervertierst den Grundgedanken von Liebe und Familie, bis das gesamte Konzept nicht mehr wiederzuerkennen ist, nur um deine eigenen verdrehten Gelüste zu befriedigen. Niemand, nicht einmal Kronos, verdient es mehr, im Tartaros zu brennen, als du.“
Mit stählernem Blick hob Calliope das Kinn, um auf Ava hinabzustarren. „Tatsächlich?“, erwiderte sie gefährlich ruhig. „Wie unangenehm muss dann das Wissen für dich sein, dass wir gewinnen werden und du mir niemals entkommen wirst.“
„Oh doch, das werde ich“, grollte Ava. „Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit werde ich hier so was von verschwinden und dann …“
„Was ist los?“
Mir stockte der Atem und ich wirbelte herum. Hinter mir in der Tür stand Henry, Milo auf dem Arm. Ich flog so schnell auf sie zu, dass ich hätte schwören können, einen Luftzug zu verursachen. Doch Henry blickte geradewegs durch mich hindurch, vollkommen fixiert auf Calliope.
Erneut krampfte sich mein Herz zusammen, aber er konnte mich nicht sehen. Er hatte keine Ahnung, dass ich hier war. Und selbst wenn, würde er trotzdem Calliope ansehen, als wäre sie das schönste Wesen auf Erden. Nicht mich.
Ich schüttelte den Kopf und zwang diese Gedanken zurück in die dunkelsten Ecken meines Bewusstseins. Henry und Milo waren gesund und munter; nichts sonst spielte eine Rolle. Mit dem Rest konnten wir uns befassen, wenn diese Katastrophe überstanden war.
„Hallo, Schatz“, flötete Calliope mit dieser überdrehten Mädchenstimme, die nicht mehr zu dem reiferen Körper passte, den sie sich erschaffen hatte. Egal, wie schön sie auch erscheinen mochte, auf ihr Äußeres würde niemand hereinfallen. „Ich war gerade auf dem Weg zu dir. Wie geht’s dem Baby?“
„Ihm geht es gut.“ Neugierig sah Henry zu Ava, doch sie wandte den Blick ab, die Hand sehnsüchtig einen halben Zentimeter über der von Nicholas. Genauso hatte ich es immer mit Milo gemacht und gehofft, irgendwie würde er meine Berührung doch spüren. „Was ist los?“
„Ava hier scheint zu glauben, dass wir Nicholas trotz seiner Verbrechen gestatten sollten zu gehen“, sagte Calliope und kicherte. „Als dürften wir ein solches Risiko eingehen. Schließlich können wir ihn doch nicht mitsamt unseren Geheimnissen zu den anderen rennen lassen, oder?“
Ich blinzelte. Risiko? Nur um Ava zu kontrollieren, hatte sie Nicholas fast zu Tode gefoltert; nicht weil er irgendwelche nennenswerten Informationen für den Rat besaß. Und warum unternahm Henry nichts? Nicholas gehörte zu seiner Familie – Calliope konnte ihm doch in den paar Stunden, seit er hier war, unmöglich eine komplette Gehirnwäsche verpasst haben. Dafür war er zu stark.
Andererseits hatte ich auch geglaubt, er sei zu stark, um Avas Fähigkeiten zu erliegen. So viel dazu.
Henry betrachtete Nicholas mit demselben Ausdruck, mit dem er auf Calliope geblickt hatte, als die Brüder sie in der Unterwelt gefangen genommen und in Ketten gelegt hatten. Mir wurde übel. Irgendwo da drinnen musste der Henry sein, den ich kannte und liebte, doch was ich in diesem Moment sah, war nicht er. So grausam es auch schmerzte, das musste ich immer im Hinterkopf behalten. Ob es nun Avas Einfluss war oder Calliopes Macht, die Bande der Loyalität zwischen Henry und dem Rat zu durchtrennen, spielte keine Rolle. In diesem Augenblick war er der Feind.
Nein, er war kein Feind, sondern genauso ein Gefangener wie Nicholas und Milo. Doch Calliope ließ ihn frei herumlaufen und tat noch wesentlich mehr, um ihn davon zu überzeugen, er wäre auf ihrer Seite. Das bedeutete, sie wollte ihn für ihre Pläne benutzen, Walter endgültig zu stürzen.
„Natürlich nicht, mein Augenstern“, säuselte Henry und ich musste würgen. So etwas hätte er zu mir niemals gesagt. Der böse Einfluss, unter dem er stand, war verdammt stark. „Wir werden tun, was getan werden muss, um den Sieg zu garantieren.“
Das waren definitiv nicht Henrys Worte. Und wenn doch, dann kamen sie von einer uralten Seite an ihm, die ich nie kennengelernt hatte – und was mich betraf, hatte ich auch keinen Bedarf, sie näher zu betrachten. Doch er ließ mir keine Wahl. Als würde er übers Wasser gleiten, durchquerte
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