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Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit

Titel: Der Preis der Freiheit: Geschichte Europas in unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wirsching
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Medienmogul und Milliardär Silvio Berlusconi. Personalisierung, Plutokratie und Aufwertung des Privaten in der Politik gingen bei seinem Aufstieg zum italienischen Premierminister Hand in Hand. Zwar monierten nicht wenige Kritiker, die Frage, welches Privatleben Spitzenpolitiker führten, trete in der sich wandelnden Demokratie an die Stelle einer sachlich differenzierten Berichterstattung. Dessenungeachtet setzten sich die paradoxen (Wahl-)Erfolge entsprechender Phänomene fort. Offenkundig trafen die neuen Formen privat unterlegter Personalisierung bei jenem wachsenden Teil des Publikums auf Zustimmung, der Politik ohnehin primär als Unterhaltung verstand. Und Berlusconi, der seinen ausgesprochenen Hang zum sexuell grundierten Machismo auch im Verlauf seiner politischen Karriere nicht ablegte, bot für entsprechende Klatschgeschichten reichlich Anlaß.
    Dies verband ihn mit dem französischen Staatspräsidenten. Auch der 2007 ins höchste französische Amt gewählte Nicolas Sarkozy war ein bisweilen an der Grenze zur Karikatur agierender, egomanischer Vertreter eines neuen Politikstils: ein Präsident der Postmoderne gleichsam, dessenHyperaktivität das politisch Wesentliche nicht selten hinter dem Beliebigen versteckte; oder, wie es die Schriftstellerin Yasmina Reza formulierte: «ein politischer Triebtäter. Ein Tier. Einer, der schnell ißt, schnell denkt, der nervös, neurotisch und ungeduldig durch die Zeit rast, durch Frankreich, New York, London und Berlin.»[ 188 ]

    Das französische Präsidentenpaar Nicolas Sarkozy und Carla Bruni-Sarkozy auf dem Weg in den Élysée-Palast
    Sarkozy präsentierte sich als ein Präsident, der unter den Augen der Medien öffentlich mit dem Handy telefonierte und SMS-Botschaften verschickte – mit dem Mobiltelefon also, das zum vielleicht aussagestärksten Symbol für die Globalisierung geworden ist. Überdies verkörperte er medienwirksam das zeitgemäße Prinzip der Lebensabschnittspartnerschaften. Seine Blitzhochzeit mit dem ehemaligen Model Carla Bruni stellte den präsidentiellen Anschluß zu jenem Milieu der Laufstege und Popkultur her, das selbst wie kein anderes das Produkt der kulturell-medialen Globalisierung war.
    Zwar war Sarkozys symbolische Kommunikation das ziemlich genaue Gegenteil dessen, was das französische Establishment von einem späten Nachfolger de Gaulles erwartete. Aber gewann sie nicht gerade dadurch neue, junge Wählerschichten? Und hatte Sarkozy nicht als Kandidat der Rechten den Front National an die Wand gedrückt? Malek Boutih jedenfalls, sozialistischer Politiker mit Migrationshintergrund, meinte, daß Sarkozy mit seiner unkonventionellen Art auch bei den Halbstarken derBanlieue ankam. «Seine ultrakurzen Sätze und sein
bling-bling
passen in ihre Denkwelt. Ein Präsident ohne Tradition, ohne Zukunftsvision, ein Präsident nur für die Gegenwart – dieser Echtzeitpräsident spricht die Jugend des Medienzeitalters an.»[ 189 ] Und bald errang bei den Franzosen auch die neue Präsidentengattin, der die regierungsnahen Medien beim Imagewandel halfen, mit diskret-elegantem Auftreten Sympathien.[ 190 ]
    Allerdings bedingte die gesteigerte Personalisierung zugleich auch die gesteigerte Wachsamkeit der Öffentlichkeit, die zunehmend allergisch auf politischen Mißbrauch zugunsten privater Interessen oder gar offene Korruption reagierte. Weitaus mehr als die öffentliche Verhandlung seiner Privatsphäre schadete Sarkozy daher Mitte des Jahres 2010 der Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung. Entsprechende Verfehlungen reichten von der ministeriellen Dienstwagenaffäre bis zum fragwürdigen Abrechnungsverhalten einer ganzen parlamentarischen Elite wie 2009/10 im britischen Unterhaus. Zahllos waren die kleineren und größeren Skandale, in die sich europäische Politiker verwickelten. Je nachdem, wie hoch die Frustrationstoleranz der Beteiligten sowie des Publikums war, waren Rücktritte die Folge. Damit tat sich ein weiteres Paradox der modernen demokratischen Politik auf: Auf den ersten Blick nämlich schienen die fast überall erlassenen strengeren Regeln und die erhöhte Wachsamkeit der Öffentlichkeit für die Vitalität der Demokratie zu sprechen. Bei näherem Hinsehen offenbarte sich jedoch, daß sich solche Vitalität letztlich doch nur gegen die Politiker selbst wendete, während sich der expandierende privatwirtschaftliche Sektor teilweise geradezu schamlos der öffentlichen Kontrolle widersetzte. Hatten auch in dieser Hinsicht, so

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