Der Preis des Schweigens
hatten das Haus günstig erstanden, weil es einem alten Mann gehört hatte und renovierungsbedürftig war. Aber wir waren nie wirklich dazu gekommen, es zu renovieren.
Wir hatten zwar Wohnzimmermöbel gekauft und die Wände gestrichen und neuen Teppichboden verlegt, aber die Küche war immer noch die alte, und das hintere Zimmer im Erdgeschoss stand voll mit Kisten, in denen sich Bücher, Papiere und Küchenutensilien aus unserer alten Wohnung befanden. Dan war kein besonders guter Heimwerker, aber bei seinen unregelmäßigen Arbeitszeiten kam er ohnehin nur selten dazu, sich größere Renovierungsarbeiten vorzunehmen. Ich selbst hätte zwar Zeit gehabt, hatte aber keine Lust, mich allein um alles zu kümmern.
Jetzt wurde mir klar, dass es noch einen Grund dafür gab, dass ich meine Wochenenden nicht mit dem Auswählen von Wasserhähnen und Kacheln, Küchenablagen und Herdplatten hatte verbringen wollen. Ich hatte mich versteckt – zu Unizeiten in meinem Wohnheim und jetzt hinter meiner Verlobung, die noch keine Ehe war, hinter meiner Arbeit, den Meetings, hinter vernünftigen Ratschlägen und der kompetenten Handhabung aller Aufgaben. Ich hatte mich versteckt, denn wenn ich mich aus meiner Deckung begeben und die Hochzeit und die Inneneinrichtung unseres Hauses mit Begeisterung in Angriff genommen und die vorübergehende Stelle als Pressechefin angenommen hätte, dann hätte das bedeutet, dass dieses Haus nicht nur irgendein Haus, sondern mein Heim war, dass mein Job nicht nur eine Notlösung, sondern meine Berufung war und mein derzeitiges Leben nicht nur eine Momentaufnahme war, sondern ein Dauerzustand . Weil ich nichts anderes hatte. Weil es das war, was mich ausmachte, und sonst nichts. Mehr war ich nicht. Und diesen Umstand hasste ich.
Ich saß im Dunkeln und weinte.
20.
A ls Dan die Haustür aufschloss, saß ich immer noch im dunklen Wohnzimmer. Kurz darauf ging das Licht an, und er stand in der Tür, überrascht, mich zusammengesunken auf dem Sofa vorzufinden.
»Was ist los, Jen? Warum sitzt du hier im Dunkeln? Du bleibst doch sonst nie wach, um auf mich zu warten«, sagte er. Es stimmte. Das letzte Mal, dass ich für ihn aufgeblieben war, war schon eine ganze Weile her.
»Ich hab dich einfach vermisst, das ist alles. Und da dachte ich, ich warte auf dich.«
»Ich habe dir eine Nachricht auf dem AB hinterlassen, dass du mich anrufen sollst. Aber du hast nicht zurückgerufen.«
Ich hatte gar nicht daran gedacht, die Nachrichten abzuhören. »Irgendwie kommen wir in letzter Zeit vor lauter Stress kaum noch dazu, miteinander zu reden«, sagte ich.
»Aber das ist nicht mehr nur meine Schuld, oder, Jen?«, antwortete er und blieb in der Tür stehen, statt sich zu mir zu setzen, wie ich gehofft hatte.
»Was soll denn das heißen?«
»Das weißt du genau. Seit wir beschlossen haben, im Juni zu heiraten, ziehst du dich immer weiter vor mir zurück. Das war schon lange vor dieser Sophie-Geschichte so. Ich dachte, dass es uns gemeinsam gelingen würde, das zu ändern. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber irgendwie wird es immer schlimmer statt besser. Seit einigen Wochen kriege ich kaum zwei Wörter am Stück aus dir heraus. Bei unserem Wochenende im Aeron Inn warst du in Gedanken meilenweit weg. Du weigerst dich, über die Hochzeit oder die Flitterwochen zu reden. Eigentlich willst du über gar nichts reden. Mir ist durchaus bewusst, dass das teilweise meine Schuld ist, aber ich habe mich mehrmals entschuldigt und weiß wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll.«
Ich ging sofort in die Offensive. »Dich noch mal entschuldigen, vielleicht? Gut, dass du unsere gemeinsame Hochzeit erwähnst: Findest du nicht, dass wir sie eigentlich auch gemeinsam planen müssten, Dan? Aber du bist ja leider viel zu sehr mit deiner eigenen Karriere beschäftigt, um dich in irgendeiner Form zu engagieren!« Schon nach wenigen Sekunden schämte ich mich für meine gereizte Reaktion. Warum griff ich ihn an? Er hatte ja recht damit, dass ich in letzter Zeit distanziert war. Die Gründe dafür hätte es eigentlich überhaupt nicht geben dürfen. Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn liebte, wollte, dass er mich tröstete. Aber die Worte blieben mir im Hals stecken und drohten, mich zu ersticken. Statt zu sagen, was ich wirklich fühlte, hatte ich die üblichen beleidigten, kindischen Vorwürfe von mir gegeben.
»Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest?«, fragte Dan plötzlich. »Hast du einen anderen?«
Ich war
Weitere Kostenlose Bücher