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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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tatsächlich so interpretieren, wie er es dargelegt hatte. Es gab also ein Sexfilmchen – na und? Viele Paare drehen heutzutage Home Videos. Ich malte mir lieber gar nicht erst die Demütigung aus, die es für mich bedeuten würde, wenn alle mich für die Stalkerin und Lügnerin hielten. Vielleicht würde Justin sogar Anzeige gegen mich erstatten. Die Neuigkeit würde sich im Handumdrehen auf der Wache und im Revier verbreiten, egal, wie »sensibel« man die Sache zu handhaben versuchte. Für mich würde es doppelt so beschämend werden wie für andere Frauen, weil ich immer so hohe Ansprüche an mich gestellt hatte, weil ich stets die seriöse, vernünftige Pressereferentin gewesen war. Ich wusste genau, was die Leute über mich denken würden: Jetzt muss sie endlich von ihrem hohen Ross herunter. Genau das würden Leute wie die dicke Paula denken, und auch alle anderen, die derzeit noch neidisch auf mich waren, weil ich die Verlobte eines Inspectors war, und eines besonders gut aussehenden noch dazu. Sie würden mich als Freiwild betrachten.
    Was, wenn Justin versuchte, eine einstweilige Verfügung gegen mich zu erwirken? Mein Fall würde die Instanzen durchlaufen, und die Medien würden sich auf mich stürzen, weil ich keine Anonymität genießen würde. Schließlich galt ich nicht als Opfer eines Sexualdeliktes, wenn Justin den Spieß umdrehte und Anzeige gegen mich erstattete. Jack NewsBeatWales würde also meinen vollen Namen nennen dürfen, und ich wusste genau, was er alles über mich schreiben würde. Er würde sich mit dem Stift dafür rächen, dass ich ihn so oft abgewimmelt hatte, ihm Informationen für seine Artikel vorenthalten, mich als moralisch überlegen aufgespielt hatte.
    Ich wusste, dass Justin das ohne Weiteres durchgezogen hätte. Er hatte mich bei unserer ersten Begegnung mühelos hinters Licht geführt, hatte eine so subtile und vollendete schauspielerische Leistung abgeliefert, dass ich ohne langes Zögern meinen züchtigen Baumwollslip von Marks and Spencer für ihn ausgezogen hatte. Die Leute würden auf ihn hereinfallen, würden in ihm das sehen, was zu sein er vorgab: ein ehrlicher Kerl, der einen dummen Fehler begangen und eine Frau gegen sich aufgebracht hatte. Dagegen hatte ich nicht die geringste Chance. Allein der Gedanke an das Vieraugengespräch, das der Chief Superintendent mit mir würde führen wollen, war mir unerträglich. Es würde mit den trügerischen Worten beginnen: »Wir glauben das alles natürlich nicht, Jennifer, aber wir müssen leider jeder Anzeige nachgehen …«
    Mein professionelles Image war das, was mich ausmachte. Ich war Jen Johnson, die Pressereferentin – effizient, kompetent, maßvoll, damenhaft, beherrscht. Nicht dieses sich windende, stöhnende Etwas in dem Video.
    Wie sehr sehnte ich mich in diesem Moment nach Dan, wünschte mich in seine Arme, wo ich sicher war, wo mir niemand etwas tun konnte. Aber er hatte wieder Nachtschicht, und es würde mindestens noch vier Stunden dauern, bis er nach Hause kam. Wenn ich daran zurückdachte, wie sehr ich noch bis vor Kurzem jeder Nachtschicht von Dan entgegengefiebert hatte, wurde mir schwer ums Herz. Andere Frauen und Freundinnen beschwerten sich, wenn ihre Partner nachts arbeiten mussten und abends nicht da waren, und ich freute mich darüber. Denn wenn Dan zu Hause war, herrschten Lärm und Unordnung. Bei ihm lief der Fernseher immer ein bisschen zu laut, und er zappte ununterbrochen durch die Kanäle, zehn Minuten dies, zwei Minuten das und dann dreißig Sekunden etwas anderes.
    Wenn er nicht fernsah, lief er mit seinem auf laut gestellten iPod herum und bildete eine kratzige Geräuschkulisse, während ich zu lesen versuchte.
    Wenn ich hingegen das Haus für mich hatte, guckte ich mir in Ruhe einen ganzen Fernsehfilm oder eine DVD an oder las – was noch besser war – in völliger Stille ein Buch. Dann machte ich mir ein leichtes, gesundes Abendessen, das ich ohne Eile verspeiste, wobei ich mir ein Geschirrtuch als Lätzchen in mein T-Shirt steckte. Danach spülte ich sofort das Geschirr ab, damit das Haus so sauber wie möglich blieb. Ich genoss es, unbeobachtet zu sein und einfach einmal nichts zu tun. Diese wunderbaren Stunden des Alleinseins hatte ich immer wie einen Schatz gehütet.
    Aber heute schien die Leere des Hauses mich mit stummen Vorwürfen zu bombardieren. Jedes Zimmer mit seinen knarrenden Böden machte mir überdeutlich Dans Abwesenheit bewusst. Wir wohnten seit fast drei Jahren hier und

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