Der Preis des Schweigens
abtreiben?«, wollte ich von ihr wissen. »Du bist doch noch nicht mal Katholikin. Willst du wirklich nach Newport ziehen und in einer Künstlerkommune ein Hippiekind großziehen?«
Ich kann heute nicht glauben, dass ich das tatsächlich zu ihr gesagt habe. Ich wollte sie wohl ein bisschen erschrecken, damit sie einsah, was für eine schlechte Idee es war, mit fünfundzwanzig ein Kind zu bekommen.
Ich habe keine Ahnung, was mich an ihrer Schwangerschaft so entsetzte. Sie war schließlich keine fünfzehn mehr, und das Haus ihrer Mutter war wirklich schön, mit einer hochmodernen Küche und einer Doppelgarage.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich im Stich ließ. Ich hatte geglaubt, dass wir einen gemeinsamen Plan für die Zukunft hatten, in dem nicht vorgesehen war, dass eine von uns alleinerziehende Mutter wurde und mit fast sechsundzwanzig Jahren noch bei ihren Eltern wohnte.
Ein Baby, verdammt noch mal! Ich selbst hörte nicht einmal ansatzweise diese biologische Uhr ticken, von der alle sprachen. Vielleicht würde sich das ändern, wenn ich ein paar Jahre älter wurde, aber für mich lag das Kinderkriegen noch in weiter Ferne. Genauso ging es mir mit dem Heiraten. Diese Dinge würden sich schon eines Tages von allein ergeben.
Jetzt seufzte Becky und zog ein bodenlanges elfenbeinfarbenes Etwas mit Tüllschleppe und einem Rock, unter dem man eine vierköpfige Familie hätte verstecken können, vom Ständer. »Ich hoffe, dass ich auch mal irgendwann heirate«, sagte sie trübsinnig. »Nicht jeder hat so viel Glück wie du und zieht einen Mann wie Dan an Land.«
»Wenn du das nicht sofort wieder zurückhängst, erwürge ich dich mit dieser Tüllschleppe, Becky Benton«, warnte ich mit gespieltem Ernst. »Du bist mir wirklich keine Hilfe. Hab ich nicht ausdrücklich gesagt, dass ich etwas Schlichtes will?«
»Zu Befehl, Brautzilla«, lachte Beck. »Allerdings fürchte ich, dass wir für etwas Schlichtes im falschen Geschäft sind.«
»In der falschen Galerie , meinst du.«
Ich gab mich unbeschwert, aber hinter meiner fröhlichen Fassade wurde mir immer schwerer ums Herz. Jedes einzelne Hochzeitskleid in den sechs Brautmodengeschäften, die wir an diesem Nachmittag abgeklappert hatten, hatte Brechreiz in mir ausgelöst. Das war mir vorher schon klar gewesen. Beck hätte sicher nicht verstanden, warum. Ja, ich hatte einen Mann, um den mich andere beneideten, aber begehrte ich ihn überhaupt noch? Genügte mir eine Zukunft an seiner Seite? Warum war ich so undankbar? Oder würde Justin ohnehin alles ruinieren, noch bevor ich die Chance bekam, »Ja, ich will« zu sagen?
»Lass uns hier verduften«, schlug Becky vor. »Ich will Pizza.«
Und ich will, dass jetzt schon morgen ist , dachte ich. Morgen habe ich nämlich eine Verabredung mit einem ganz bestimmten Surfer.
Aber vorher musste ich noch den Shoppingtrip mit Becky und den endlos vor mir liegenden Abend hinter mich bringen. Nachdem sich Becky um acht Uhr abends verabschiedet hatte, beschäftigte ich mich mit alltäglichen Verrichtungen. Ich duschte, bügelte und bezahlte online Dans KFZ-Steuer, weil er es schon wieder vergessen hatte. Dabei legte ich mir zurecht, was ich zu Justin sagen wollte, wenn er morgen aus Santos’ Laden kam und wir uns erneut gegenüberstanden.
Ich verspürte ein immer stärker werdendes Verlangen, ihn wiederzusehen. Die Chemie zwischen uns war echt gewesen, da war ich mir sicher. Selbst in Anbetracht dessen, was seit unserer gemeinsamen Nacht passiert war, wollte ich nicht wahrhaben, dass er überhaupt nichts für mich empfunden hatte.
Lieber klammerte ich mich an die Hoffnung, dass alles nur ein Irrtum war, ein Missverständnis. Wenn ich Justin endlich gegenüberstand, würde er mir alles erklären. Es bestand schließlich immer noch die klitzekleine Chance, dass derjenige, der mir die Textnachrichten und E-Mails geschickt hatte, überhaupt nicht Justin war. Was, wenn er genauso unschuldig war wie ich? Was, wenn er von der Sache gar nichts wusste? Bestimmt hatte uns irgendein Verrückter gefilmt, der jetzt in seinem Namen Geld von mir verlangte. Die Kollegen von der Kripo hatten gerade erst mit einem Vermieter zu tun gehabt, der in seiner Ferienwohnung Kameras installiert hatte, um die Urlauber beim Duschen und im Bett zu filmen. Konnte es nicht sein, dass Justin gar nichts von dem Video wusste? Vielleicht wurde auch er erpresst, und es war noch eine dritte Person im Spiel, die bisher gar nicht in Erscheinung getreten
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