Der Preis des Schweigens
Griechenland ist vielleicht ganz okay, wenn wir uns den richtigen Ort aussuchen, dachte ich. In Griechenland gibt es Tempel, dieses Land war gut genug für Homer und Virgil.
»Müssen wir das jetzt entscheiden, Dan?«, seufzte ich, während mich ein ganzes Zeitalter antiker Erschöpfung auf den Stuhl niederdrückte. »Ich bin heute einfach zu müde.«
Unbeirrt nahm er den Katalog und zeigte auf das moderne Fünfsternehotel.
»Natürlich musst du dich nicht jetzt gleich entscheiden, Liebling«, beschwichtigte er, »aber guck es dir wenigstens mal an. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit für die Planung, zumal immer noch so viele Entscheidungen für die Hochzeit ausstehen. Deine Mutter klang wirklich gestresst am Telefon.«
»Ach, sie klang gestresst?«, ging ich sofort in die Defensive.
»Ich meinte doch nur, dass wir irgendwann mal eine Entscheidung treffen müssen. Wir haben schon Februar.«
»Das weiß ich. Natürlich weiß ich das. Aber mein Job ist genauso anstrengend wie deiner, und ich habe wirklich keine Zeit, mich ständig um diesen ganzen Hochzeitskram zu kümmern.«
Er stellte mir mit verletztem Gesicht einen Teller Nudeln vor die Nase. Ich kam mir sofort wie eine furchtbare Zicke vor. Dieser enttäuschte Ausdruck in seinen Augen gefiel mir gar nicht. Es war nicht seine Schuld, dass ich mich nicht auf die Hochzeit freute, sondern ganz allein meine. Er wusste, was er wollte, im Gegensatz zu mir.
»Danke, dass du gekocht hast, Dan«, sagte ich. »Das war wirklich eine schöne Überraschung.« Ich probierte eine Gabel voll Nudeln und stellte überrascht fest, dass sie gut schmeckten. »Echt lecker.«
»Ich dachte, ich nehme dir das heute ab, damit du dich auch mal einfach an den Tisch setzen kannst«, murmelte er und stocherte niedergeschlagen in seinem Teller herum.
Ich hatte es mal wieder geschafft. Ich hatte seine Vision von häuslicher Idylle und gemeinsamem Glück zerstört, seinen Plan, mich mit einem Abendessen zu überraschen. Dabei hatte er es nur gut gemeint.
»Ich schaue mir die Kataloge dieses Wochenende an, versprochen, Schatz. Und meine Mutter rufe ich gleich nach dem Essen zurück.«
»Ich liebe dich, Jen«, sagte er.
»Ich liebe dich auch«, antwortete ich.
»Morgen habe ich frei. Ich könnte zu dir auf die Wache kommen und dich zum Mittagessen abholen. Du gönnst dir sonst nie eine richtige Mittagspause, ich weiß, aber die können mal eine halbe Stunde ohne dich zurechtkommen.«
»Tut mir leid, Süßer, aber morgen schaffe ich es nicht, ich ersticke in Arbeit«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Aber das machen wir ein anderes Mal, versprochen.«
Dabei tanzte vor meinem inneren Auge die Landkarte von Westwales und Gower, die in meiner Handtasche steckte.
11.
I ch hielt, was ich Nigel versprochen hatte, und meldete mich ordnungsgemäß ab, als ich vormittags die Wache verließ. In meinen Online-Terminkalender hatte ich eingetragen, dass ich den Kollegen aus Swansea einen Besuch abstatten wollte, um mit ihnen eine »proaktive Publicity-Strategie« zu erarbeiten. Ich war stolz auf diesen Einfall, denn gegen so viel Eifer konnte selbst die dicke Paula nichts einzuwenden haben. Dann machte ich mich auf den Weg nach Aberthin, um nach den Mathrys zu suchen.
Auf dem Weg dorthin würde ich einen kurzen Zwischenstopp bei Police Constable Dick Thomas und seiner neuen jungen Kollegin Rhian in Swansea einlegen und mit den beiden eine halbe Stunde über bevorstehende Aktionen in der Gegend plaudern, damit sie hinterher mein Alibi bestätigten. Anschließend musste ich allerdings dringend weiter, weil ich eine Verabredung mit einem Campingbus hatte. Und mit einem Wohnwagen. Der Wohnwagenpark von Aberthin war auf meiner Landkarte von Westwales verzeichnet.
Als ich am Morgen die Telefonnummer der Mathrys in Pennard angerufen hatte, die Nummer, die damals wegen des Landrover-Unfalls in der Datenbank registriert worden war, hatte mir eine betagt wirkende Dame mit krächzender Stimme mitgeteilt, dass die Mathrys vor sechs Jahren weggezogen seien.
Ich war enttäuscht gewesen, ließ mich aber nicht entmutigen. Die Leute im westlichen Wales hängen an ihren alten Wohnwagen (und an ihren alten Campingbussen, die für sie echte Liebhaberstücke sind). Es war also gut möglich, dass die Mathrys immer noch ihren Wohnwagen in Aberthin stehen hatten, in der Nähe des damaligen Unfallortes. Und der Campingbus war vielleicht auch noch in ihrem Besitz. Im Wohnwagenpark fand ich sicher jemanden, der sie
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