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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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Fensterverkleidung hängen und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Mit einem dumpfen Knall landete ich unsanft auf der Seite und hörte laut das Fenster zuklappen.
    Es folgte ein Moment der Stille, bevor drinnen das Licht angeschaltet wurde. Ich sah mich nicht um oder wartete ab, ob der Mann mich gehört oder gesehen hatte, sondern stieß mich mit Armen und Beinen gleichzeitig vom Boden ab, sprang auf die Füße und rannte los.
    Plötzlich ertönte ein Schrei aus dem Wohnwagen, der mir so ohrenbetäubend vorkam, als hätte jemand eine Stereoanlage voll aufgedreht: »He, du Scheißkerl!« Die Wohnwagentür flog auf, und dann waren erst auf dem Kies und dann auf dem Gras entschlossene Schritte zu hören.
    Aber ich war bereits hinter der Hecke und damit außer Sichtweite. Ich rannte, so schnell mich meine Beine trugen, und zog die Baseballkappe noch tiefer in die Stirn. Hoffentlich hatte ich genug Vorsprung herausgeschlagen. Ich schoss um die Kurve, als ob der leibhaftige Teufel hinter mir her wäre, was womöglich stimmte. Beim Auftauchen der Scheinwerfer war mein erster Gedanke gewesen, nicht in einem Wohnwagen erwischt zu werden, in den ich unrechtmäßig eingebrochen war, aber jetzt ging mir auf, dass ich in den dichten, finsteren Wäldern, die den verlassenen Wohnwagenpark umgaben, auch nicht viel besser dran war. Hier war niemand, der mich schreien hörte, wenn ich Hilfe brauchte. Der Mann, der mich verfolgte, steckte mit Justin unter einer Decke. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
    Er hatte sicher nicht gesehen, wer ich war, dafür war das Licht zu schwach gewesen. Er hatte allerhöchstens eine schwarze Gestalt mit Kapuzenjacke und Baseballkappe in die Dunkelheit fliehen sehen. Die naheliegende Vermutung war, dass ich ein Einbrecher oder Junkie war.
    Mir schoss Bodies Schilderung der Verfolgungsjagd beim Bierraub von Twn Row durch den Kopf, während ich einen letzten keuchenden Sprint zum Waldrand hinlegte. Wenn der vor Testosteron strotzende, durchtrainierte Bodie in diesem Moment hinter mir her gewesen wäre, hätte ich keine Chance gehabt. Innerhalb von Sekunden hätte sich dieser rasende Muskelberg von hinten auf mich geworfen und mich zu Boden gerissen, wo ich genauso überrumpelt liegen geblieben wäre wie Mickey Half-Pipe. Oder war es Mickey Ming Mong gewesen? Einer der beiden beklagenswerten Mickeys jedenfalls. Aber der Mann, der mich verfolgte, war alles andere als durchtrainiert, und ich machte auch nicht den gleichen Fehler, den Mickey begangen hatte. Er hatte versucht, Bodie davonzulaufen, während ich nur eine gewisse Distanz zwischen mich und meinen Verfolger bringen wollte. Denn zwischen Kampf und Flucht gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Untertauchen.
    Ich hatte sechs oder sieben Sekunden Vorsprung und viele gejoggte Kilometer in und um Cardiff auf meiner Seite. Fast instinktiv hatte ich vorab die Entfernung vom Wohnwagen zur nächsten Kurve der Landstraße abgeschätzt, und als ich dort angekommen war, schaltete ich blitzschnell, bog vom Weg in die Büsche ab und legte mich hinter einem Strauch flach auf den Bauch.
    Sechs Sekunden später bog der Mann in vollem Tempo um die Ecke, aber er atmete bereits schwer und schwankte ein wenig. Nachdem er etwa zehn Schritte an meinem Versteck vorbeigerannt war, wo ich zwischen den winterlich spröden Blättern und Dornen die Luft anhielt, blieb er keuchend stehen und starrte nach vorne, wo die Landstraße eine erneute Kurve machte und in der Dunkelheit verschwand.
    »Was zum …? Verdammte Scheiße!«, stieß er nach kurzer Verschnaufpause hervor und bekam einen Hustenanfall.
    Er stützte die Hände auf die Knie und starrte weiter auf die leere Straße. In diesem Moment wiederholten sich völlig unerwartet und genau zum richtigen Zeitpunkt die Geräusche von vorhin: Glas zersplitterte, und das Gegröle und Gelächter betrunkener Jugendlicher schallte in unsere Richtung. Ich hätte nie geglaubt, dass ich randalierenden Teenagern einmal dankbar sein würde.
    Da der Mann allein und am Ende seiner Kräfte war, brach er die Verfolgung ab und rief noch ein letztes »Ja, renn nur weiter, du Arschloch!« die Straße hinunter, bevor er zurück in Richtung Wohnwagen trottete.
    Ich blieb noch eine gefühlte Ewigkeit reglos liegen, weil ich ganz sicher sein wollte, dass er weg war. Die Erinnerung an den Bluterguss, den Justin mir vor dem Surf-Shop verpasst hatte, war noch zu frisch. Mein heutiger Verfolger war ein kräftiger Mann. Nicht besonders fit, aber stark.

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