Der Preis des Verrats (German Edition)
ist tot. Vergessen Sie’s“, antwortete Reid knapp.
„Na schön, Novak. Der ewige Boy Scout, großes Pfadfinderehrenwort, verstehe. Sagen Sie Ms Cahill, ich sehe sie im Bücherregal wieder.“
Reid ging aus der Bar hinaus und hatte Feingolds schleimiges Glucksen im Ohr.
Caitlyn sah sich in dem eleganten Haus in Georgetown um. Bilder aus ihrer Kindheit gingen ihr durch den Kopf. Sie sah sich mit Joshua zusammen, wie sie auf der Wendeltreppe aus Mahagoni spielten, dann den Weihnachtsbaum, der das zweistöckige Foyer des Hauses jedes Jahr schmückte. Er wurde mit Kristallschmuck und karierten Schleifen verziert, zu Ehren der schottischen Ahnen der Familie. Unter der breiten Bogentür, die ins Arbeitszimmer führte, hatte sie mit ihrem Vater für ein Foto posiert, als sie ihren Collegeabschluss feierten. Er hatte den Arm um sie geschlungen und vor Stolz gestrahlt. Caitlyn stand jetzt allein an derselben Stelle, und eine bittersüße Traurigkeit überkam sie.
Der Besuch vor ein paar Stunden bei ihrer Mutter im Pflegeheim war nicht gut verlaufen. Wieder einmal hatte Caroline sie nicht erkannt. Das Pflegepersonal hatte Caitlyn gewarnt, dass ihre Mutter einen ihrer schlechten Tage hatte und dass sie möglicherweise nicht ansprechbar wäre. Dennoch hatte sich Caitlyn zu ihr gesetzt, ihre Hand gehalten und mit ihr gesprochen. Siehatte gehofft, sie würde irgendwie zu ihr durchdringen. Aber Caroline hatte ihre Tochter mit vager Neugier angestarrt, bevor sie ihre Finger wegzog und den Flur hinunterschaute, als ob sie noch einen anderen Besucher erwartete.
Sie hatte gebrechlich gewirkt und klein in dem lila Satinpyjama, den Caitlyn ihr gekauft hatte, und viel zu jung, um gegen Alzheimer zu kämpfen, wenn es denn wirklich das war, woran sie litt. Caitlyn war sich nicht sicher, denn die Ärzte hatten die Diagnose niemals vollständig bestätigt. Alles, was Caitlyn wirklich wusste, war, dass der geistige Zustand ihrer Mutter sich zu verschlechtern begonnen hatte, als das FBI ihren Sohn verhaftete. Sie hatte sich von einer lebenslustigen Dame der Washingtoner Gesellschaft in eine Einsiedlerin verwandelt und weigerte sich plötzlich, ihr vertrautes Zuhause zu verlassen, weil sie die neugierigen Reporter fürchtete, die ihre Straße entlang kampierten.
Zwei Tage nach Braden Cahills Schlaganfall war Caroline auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause verschwunden. Die Polizei hatte sie aufgegriffen, als sie gerade auf der National Mall umherwanderte und weder ihren Namen noch ihre Anschrift nennen konnte. Es schien, als ob mit dem Zerbrechen ihrer Familie und dem Verlust ihres sozialen Status auch ihr Verstand auseinanderzubrechen begann. Ohne diese Facetten ihres Lebens hörte Caroline Cahill auf zu existieren.
Caitlyn gab sich die Schuld dafür.
Sie schaute sich weiter in dem Haus um. Es war so unerträglich still. Weiße Laken bedeckten jetzt die meisten verbliebenen Möbel. Sie würden bald in einer Auktion versteigert werden.
Es musste sein. Caroline würde nie wieder nach Hause kommen, und das Pflegeheim, wo sie jetzt wohnte, war kostspielig. Caitlyn hatte das hübscheste und am wärmsten empfohlene Heim im District ausgesucht und sich mit dem Wissen getröstet, dass ihre Mutter zumindest noch in nächster Nähe zu ihrem geliebten Georgetown wohnen würde.
Sie seufzte niedergeschlagen und stieg die Treppe nach oben. An dem großen Fenster blieb sie stehen. Von hier aus überblickteman die von Bäumen gesäumte, kopfsteingepflasterte Straße, in der sich beschauliche Läden und gepflegte Stadthäuser im klassizistischen, georgianischen und viktorianischen Stil aneinanderreihten. Wenn das Haus bald verkauft war, sah sie diese malerische Szenerie vielleicht nie wieder. Das wurde Caitlyn jetzt klar. Aber sie konnte hier auch nicht wohnen – die Erinnerungen würden sie vernichten. Sie blickte hinunter auf den Bürgersteig, erwartete eigentlich die wippenden Köpfe der Passanten zu sehen, aber stattdessen stand da ein Mann und hob sein Gesicht zum Fenster. Er runzelte die Stirn vor lauter Konzentration, die tiefen Linien um seinen Mund straften sein noch recht jugendliches Alter Lügen. Eine Erinnerung überfiel sie und jagte ihr einen langsamen Schauer über den Rücken.
Es war nicht einfach irgendein Mann – es war derselbe, der sie gestern beobachtet hatte. Caitlyn trat einen Schritt zurück, sodass sie außer Sichtweite war. Neugier überkam sie, aber zugleich war sie verärgert. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen,
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