Der Preis des Verrats (German Edition)
warteten, dass sich die Türen des Zuges öffneten. Schließlich stiegen sie hastig ein. Der Zug war bereits ziemlich voll und durch die Fenster konnte Reid sehen, wie dieZugestiegenen die noch übrigen freien Plätze belegten oder nach den Vinylschlingen griffen, die von der Decke hingen, um sich für die Fahrt festzuhalten.
Plötzlich war Reid wie elektrisiert.
Julianne Hunter saß auf dem letzten Platz, ihr blondes Haar bedeckte halb ihr Gesicht. Sie trug denselben strengen karierten Rock und die weiße Bluse wie in der Nacht in der verlassenen Fabrik, der Kragen war blutbefleckt. Ungläubig stand Reid da. Sie starrte zu ihm hinüber, ein verwirrter Ausdruck lag auf ihrem hübschen Gesicht.
Juliannes Anblick hatte ihn in all den Monaten seit ihrem Tod verfolgt – er erkannte sie wieder, so deutlich wie sein eigenes Spiegelbild. Reid rannte auf die Tür zu, die anfing, sich zu schließen, aber eine halbe Sekunde, bevor er sie erreichte, war sie schon zu. Er schlug auf das Plexiglasfenster. Prompt drehten sich die Passagiere zu ihm um.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Reid lief nebenher mit, den Blick fest auf Julianne geheftet. Sie beobachtete ihn neugierig, dann wendete sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Buch zu, das sie aufgeschlagen auf ihrem Schoß hielt. Nicht gewillt, sie ziehen zu lassen, sprintete Reid den Bahnsteig entlang, bis ihn der Zug schließlich abhängte und in den dunklen Korridor hineinraste. Atemlos schnappte Reid nach Luft, seine Lunge schmerzte und das Herz schien ihm fast aus der Brust zu springen.
Er gab sein Bestes, über die neugierigen Blicke hinwegzusehen, bahnte sich einen Weg durch die Menge und steuerte auf den Waschraum für Männer zu. Seine Hände zitterten, als er den Wasserhahn an einem der Becken aufdrehte und kaltes Wasser über sein Gesicht spritzte.
Ihm schwirrte der Kopf. Ein schwaches Klopfen entstand hinter seiner Stirn und kündigte einen Kopfschmerzanfall an. Julianne ist tot – er hatte miterlebt, wie das Leben aus ihr herausströmte. Ihr Blut hatte sein Jackett bedeckt, während er um ihr Leben kämpfte. Aber was auch immer er gerade gesehenhatte, Reid glaubte nicht an Doppelgänger oder Geister. Dafür war er viel zu sehr Realist.
Ihm fiel nur eine einzige Erklärung für diesen Vorfall ein, doch um nichts in der Welt wollte er ihr ins Auge blicken. Die Angst traf ihn wie ein harter Schlag auf die Brust. Schwitzend wartete er einige Minuten lang im Waschraum und versuchte sich zu sammeln, bevor er wieder hinaus in die Metrostation trat.
20. KAPITEL
Caitlyn wartete draußen vor der geschlossenen Tür im Gang des Springdale Penitentiary. Furcht sammelte sich in ihrem Magen, aber sie hielt sich aufrecht und schwor sich, keine Schwäche zu zeigen.
„Es wird schon alles in Ordnung gehen, Caitlyn“, beteuerte Reid noch einmal, der neben ihr stand. Aber der angespannte Zug um seine Augen strafte seine Worte Lügen. „Wir haben ihm keine weiteren Versprechungen gemacht außer diesem einen privaten Besuch – fünf Minuten, nicht mehr und nicht weniger. Seine Handgelenke sind an den Tisch gefesselt. Er wird dich nicht anfassen können.“
Agent Tierney, der sich ein Stück den Gang hinunter mit einem muskulösen Gefängniswärter unterhalten hatte, kam auf sie zu. Auch er erinnerte Caitlyn daran, dass er das Gespräch begleiten würde. „Wir werden durch das Spiegelfenster ein Auge auf ihn haben, Ms Cahill. Besinnen Sie sich einfach nur auf unser Ziel.“
Sie seufzte nervös. „Den Fundort der Leiche ermitteln.“
„Mir gefällt das nicht.“ Ob Reid diesen Satz nur vor sich hin murmelte oder ob er wollte, dass ihn jemand hörte, konnte Caitlyn nicht sagen. Sie hatte die zwei Agenten beim Büro der VCU in D. C. getroffen und sie waren zusammen zum Bundesgefängnis in Maryland gefahren. Reid war nachdenklich gewesen und hatte fast während der gesamten Fahrt vor sich hin gegrübelt.
Was zwischen uns heute Nachmittag vorgefallen ist, war meine Schuld. Ich hätte es nicht geschehen lassen sollen .
Caitlyn dachte daran, wie er ihren Kuss bedauert hatte, und es schnitt ihr erneut ins Herz.
„Bist du bereit?“, fragte er.
Als sie kaum merklich nickte, schob sich der Wärter nach vorne, um die Tür zu entriegeln. Mit weichen Knien trat sie in den Raum. Es war das erste Mal seit zwei Jahren, dass sie und ihr Bruder sich begegneten. Sie sahen sich an. Körperlich hattedas Gefängnis Joshua offenbar nur wenig verändert – er war dünn und drahtig, sein
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