Der Preis -Thriller (German Edition)
kalkuliert grausam und konsequent logisch einem anderen Vertreter seiner Spezies angetan hätte, was man ihr während der letzten Stunden angetan hatte.
Hätte sie über solch ausweglos düstere Gedanken nicht schockiert sein müssen , fragte sie sich. Und kam zu dem Schluss dass sie vermutlich ihren persönlichen Vorrat an Schocks dort in diesem verfluchten Stuhl im Angesicht der Spiegel und der laufenden Kamera ja längst aufgebraucht hatte .
War es das, was einen im landläufigen Sinne „hart“ machte ? D er Umstand, dass man seinen persönlichen Vorrat an Schocks und Enttäuschungen so ziemlich aufgebraucht hatte?
„Du spinnst“, sagte Milena halb laut zu ihrem Spiegelbild.
Dann wandt e sie sich ab, verschwa nd für einige Zeit aus dem Bad und kehrte dann mit einer Dose roten Reparaturlack s für ihren kleinen Fiat zurück.
Sie trat zum Badspiegel und betrachtete sich wieder eine Sekunde darin.
Ihr B ild war ihr immer noch fremd. Und es hatte inzwischen etwas Bedrohli ches angenommen, das ihr Angst machte.
Sie öffnete die Lackdose und besprühte ihr Spiegelbild in langen gleichmäßigen Zügen so lange mit rotem Autolack, bis nichts mehr davon zu sehen war.
Danach fühlte sie sich erleichtert.
Dennoch ahnte sie, dass die Angst zurückkehren würde - wieder und immer wieder. Vielleicht sogar ja solange , bis sie von ihr aufgefressen wurde, wie von einem aggressiven Parasiten oder bösartigen Krebsgeschwür.
3 . Auteuil / Juli 2009
„Seitdem habe ich Angst. Wirkliche Angst“, flüsterte Milena in die Stille in Noldes Penthouse hinein , „ So umfassend und tief sitzend, dass ich an nichts anderes mehr denken kann. Ich habe Schweißausbrüche und Schüttelfrost vor Angst. Ich schrecke bei jedem Geräusch irgendwo im Haus oder unten auf der Straße auf. Ich dachte: Irgendwann könnte ich lernen mich mit dieser Angst zu arrangieren. Aber das ist ein Irrtum. Ich kann es nicht. Jedenfalls solange nicht wie ich nicht absolut sicher weiß, ob diese Leute mich tatsächlich beobachten oder nicht“, beendete Milena auf Noldes heller Ledercouch die Geschichte ihrer Entführung.
Nolde hatte sie keinen Moment aus den Augen gelassen , während sie sprach. Womöglich wollte ein Teil von ihm Milena sogar glauben. Doch Vertrauen war eine gefährliche Angelegenheit für einen Mann, der weder an Zufälle glaubte, noch daran, dass einem das Leben je irgendeine Art von Garantie ausstellte.
Milena sah ihm wohl an, dass er an ihrer Geschichte zweifelte. Sie öffnete ihre Handtasche und legte einen dünnen braunen Umschlag auf Noldes Tisch.
„Ich dachte mir schon, dass Sie mir nicht glauben würden. Deswegen habe ich das da mitgebracht. Es beweist, dass ich nicht gelogen habe“, sagte Milena in demselben kühl distanzierten Tonfall, in dem sie Nolde zuvor ihre Geschichte geschildert hatte.
Der Umschlag enthielt die Auswertung einer Blutanalyse, verschiedene Fotos und einen knappen medizinischen Bericht über eine allgemeinärtliche Untersuchung Milenas.
Nolde konnte mit dem Latein-Kauderwelsch des Berichtes und den darin aufgeführten Laborwerten nicht viel anfangen. Die Fotos zeigten offenbar Milenas rechten und linken Arm. An denen jeweils kleine Verletzungen zu erkennen waren, die wie Einstiche wirkten. Doch nichts war einfacher , als einige Fotos zu verfälschen und irgendeinen Laborbericht zusammen zu stellen, von dem man annehmen musste, dass Nolde ja sowieso nicht viel damit anzufangen wusste.
Nolde nahm die Unterlagen an sich, stand auf , und bat Milena auf ihn zu warten. Er wandte sich ab und verschwand im Nebenzimmer.
Er achtete darauf, dass die Tür hinter ihm wirklich verschlossen war. Dann fütterte er sein Faxgerät mit den Unterlagen aus Milenas Umschlag.
Noldes Partner Hammer brachte so einige nützliche Fertigkeiten in ihre gemeinsame Firma ein. Er sprach vier Sprachen, war Nahkampfexperte und gut vernetzt mit gewissen Beamten der verschiedenen heimischen Geheimdienste. Doch Hammers Frau Marie war auch Stationsärztin im Hospital Hotel-Dieu. Sie würde beurteilen können , was dieser Untersuchungsbericht und die Laborwerte wirklich be sagte n.
Es dauerte keine Minute , bis sich Noldes Telefon meldete.
„Heute ist Samstag, Nolde. Lass mich in Ruhe“, blaffte Hammer in den Hörer und zwar offenbar nur halb im Spaß.
„Diese Unterlagen sind für Marie . Sie soll sich gleich daran machen und mich anrufen , sowie sie sich einen ersten Eindruck dazu verschafft
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