Der Priester
sterben würde. Ein verzweifelter Krampf erschütterte ihren Körper, und unwillkürlich, ohne darüber nachzudenken, schlugen ihre Gliedmaßen aus. Und als sie um einen letzten Atemzug kämpfte, schlug ihr Arm auf eine harte Kante, dann auch ihr Knöchel, und ein unmenschlicher Schmerz zuckte durch ihre Knochen, es krachte und knallte, die ganze Welt brach über ihr zusammen, und sie wusste, dass alles vorbei war und wie sich der Tod anfühlte.
Mulcahy dachte erst, dass Cassidy die Sache selbst in die Hand genommen und eins der Fenster an der Hausfront eingeschlagen hatte. Aber dann hörte es nicht auf zu krachen, und er merkte, dass es aus dem Hausinneren kam. Aber von wo? Er wollte gerade nach vorne laufen, als ein letzter Knall ertönte und seinen Blick nach unten lenkte. Dort befand sich direkt über dem Boden ein kleines Fenster. Er beugte sich herunter, um hineinzusehen, doch das Glas reflektierte den Strahl der Taschenlampe.
»Alles in Ordnung?«, fragte Cassidy, der durch den schmalen Gang neben dem Haus auf den am Boden kauernden Mulcahy zukam.
»Ja, aber ich bin sicher, dass ich da unten was gehört habe, nachdem ich Siobhans Namen gerufen hatte. Da muss ein Keller sein. Ich weiß nur nicht, wie man da reinkommt.«
Wieder leuchtete er mit der Taschenlampe an der Unterkante der Wand entlang, wobei er zum ersten Mal bemerkte, dass das Gelände zum Garten hin leicht abfiel. Dann erinnerte er sich, dass man vom Wohnzimmer ein paar Stufen hinuntergehen musste, um in den Garten zu gelangen. Ohne ein Wort zu sagen, sprang er auf und lief zur Rückseite des Hauses. Cassidy folgte ihm. Ein paar Sekunden später suchte er im Taschenlampenstrahl die Seite neben der Treppe ab und entdeckte eine mit einem Vorhängeschloss gesicherte Holztür. Er trat die Tür ein und sprang in den Raum dahinter, sah aber nur Dreck, Ruß und Gartengeräte und kein Zeichen von Siobhan oder einer anderen Person. Cassidy kam hinterher und entdeckte einen Lichtschalter. Erst da bemerkte Mulcahy die andere Tür an der Rückwand. Mulcahy lief hin, riss sie auf, und das Licht aus dem Abstellraum erhellte auch diesen sehr viel größeren Raum etwas, so dass er einen primitiven Käfig erblickte und einen riesigen Metalltisch, der wie eine Werkbank aussah. An den Wänden hatte sich der Dreck mehrerer Generationen gesammelt. In der linken Ecke unter einem kleinen Fenster, umgeben von einer wabernden Staubwolke lag etwas, das wie eine zusammengebrochene Anrichte aussah. Überall darum herum lagen umgekippte Kisten und das, was darin war: zerbrochene Flaschen und Gläser, ein riesiges, auf dem Betonboden zersprungenes Porzellanservice. Darunter ragte wieder einmal ein Bein hervor, dieses Mal ein nacktes Frauenbein.
»Siobhan!« Mulcahy sprang hin und zerrte mit aller Kraft verrottete Holzbretter und -platten zur Seite. Cassidy kam ihm zu Hilfe. Nachdem sie die schwersten Teile von ihr genommen hatten, stieg Wut in ihm auf, als sie ihren Unterkörper freilegten und er durch den Schmutz und Staub die schrecklichen Wunden sah, die man ihr auf dem Bauch und auf den Oberschenkeln zugefügt hatte. Aber selbst als sich sein Magen fast umdrehte bei dem Gedanken an die Schmerzen, die sie erlitten haben musste, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Die Form der Hüfte, die Armlänge. Die Haare waren auch nicht dunkel genug. Als er die letzten Porzellanscherben von ihrem Gesicht entfernte, konnte er es deutlich erkennen: Sie war es nicht. Es war nicht Siobhan. Panik erfasste ihn, doch der Polizist in ihm unterdrückte sie, als er das Klebeband vom Mund entfernte und dann ein Augenlid hochzog, um zu sehen, ob die Frau noch lebte. Mit einem gekrümmten Finger säuberte er ihren Mund von Kotze, Staub und Dreck, dann drückte er seine Lippen auf ihre und versuchte verzweifelt, dieser Frau, die nicht Siobhan war, wieder Leben einzuhauchen, weil sie gerettet werden musste.
Sie fanden ihren Namen auf einem Studentenausweis in einer abgeschabten, rosafarbenen Handtasche auf der Werkbank: Shauna Gleeson, eine Kunststudentin im zweiten Studienjahr am University College Dublin. Daneben lag eine Tasche, die Mulcahy für Siobhans hielt, in der sich ein Diktiergerät befand, und dann, was seine Angst bestätigte, ihr Portemonnaie mit ihrem Ausweis und den Visitenkarten. Inzwischen hatte er schon einen großen Hammer aus dem Regal neben der Werkbank genommen, rannte raus, dann die Treppe hinauf und schlug die Glastüren zu Rinns Wohnzimmer ein. Cassidy folgte ihm mit
Weitere Kostenlose Bücher