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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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Treppe auf der anderen Seite der Plattform auf sich zukommen.
    »Stehen bleiben oder sie stirbt«, brüllte Rinn, dessen Blick zwischen Cassidy und Mulcahy hin- und hersprang, wobei ihm vor Angst fast die Augen aus dem Kopf fielen. Mulcahy wusste, dass er keine bessere Chance bekommen würde, und stürzte sich auf ihn. Doch er war nicht schnell genug, um die Strecke rechtzeitig zu überwinden. Rinn ließ das Seil los und rannte davon.
    Für Mulcahy war es keine Frage. Er wollte das Seil, nicht den Mann. Das Surren der herabfallenden Last, das Zischen des Seils, als es durch die Öse sauste, lag ihm in den Ohren. Aber er erreichte es, packte den Strick, und seine Hand schloss sich um etwas Dünnes, Hartes, Biegsames. Seine Haut versengte unweigerlich durch die starke Reibung, dann wurde sein Handgelenk mit einem lauten Knacken nach hinten gerissen. Die Wucht hätte ihm fast den Arm ausgekugelt – doch er hatte das Seil. Er hatte sie. Jetzt auch mit beiden Händen. Trotz der Schmerzen hielt er sie fest, und Cassidy erschien neben ihm, sagte, dass er das Seil auch hätte, und wenn sie das jetzt langsam und vorsichtig zusammen machten, könnten sie Siobhan sicher die letzten Meter bis zum Boden herunterlassen.
    Mulcahy erlebte alles wie durch einen Nebelschleier. Von seinem Handgelenk jagten Schmerzsalven den Arm hinauf, und seine Schulter fühlte sich an, als wäre sie in zwei Teile zerrissen. Als der Pfahl des Holzkreuzes schließlich auf den Boden kam, ließen sie es langsam weiter herabgleiten, bis es flach auf der Rückseite lag. Siobhan war in einem furchtbaren Zustand, so dass sie ihn gar nicht wahrnahm, sondern nur vor sich hin stöhnte und wimmerte. Aber sie lebte. Er ging zu ihr und versuchte, sie in den Arm zu nehmen, um sie ein wenig zu trösten. Cassidy hielt ihn allerdings zurück und deutete auf die Schnüre, mit der ihre Hand- und Fußgelenke ans Kreuz gebunden waren, und auf die groben Eisennägel in ihren Füßen und Handflächen. Er zog seine Jacke aus und legte sie so gut es ging über sie. Aus der Ferne hörten beide, wie eine Schiebetür geschlossen wurde, und blickten auf.
    »Um ihn brauchen Sie sich keine Sorgen machen«, sagte Cassidy, der sein Handy in der Hand hielt und schon eine Kurzwahl gedrückt hatte. »Den Lieferwagen kriegt er nicht in Gang, dafür hab ich gesorgt. Außerdem müssten wir jeden Moment Verstärkung bekommen.«
    Aber in Mulcahys Kopf ging alles vor Schmerz und Zorn drunter und drüber. Er stand auf und stolperte auf die Treppe zu, war jetzt voll auf den Lieferwagen und den mordenden Irren darin konzentriert, der immer noch versuchte, den Motor zu starten. Auf dem Weg nach unten durchzuckte ihn bei jedem Schritt ein gewaltiger Schmerz. Er hörte das tiefe Heulen der Sirenen und sah die Blaulichter hinter den Bäumen blinken, doch er musste den Kerl als Erster erwischen. Er war erfüllt von gerechtem Zorn. Er war entschlossen, Rache zu üben.
    Erst als er den Lieferwagen erreichte, merkte er, dass er nicht in dem Zustand war, als Racheengel für irgendetwas oder irgendjemanden aufzutreten. Ihm war so schon schwindelig, und als er am Griff der Fahrertür zog, schoss eine lähmende Schmerzwelle von der Hand den Arm hinauf in seine Schulter. Rinn saß immer noch am Lenkrad des Lieferwagens, hatte sich jedoch zur Beifahrerseite gebeugt, wo er verzweifelt im Handschuhfach herumwühlte und gleichzeitig mit beiden Beinen mit aller Kraft austrat. Die Fahrertür knallte Mulcahy direkt an Kinn und Brust, so dass er rückwärts ins Gras stürzte. Als er dort lag, wurde alles viel klarer und langsamer, während sich eine neue Welle des Schmerzes von seiner Schulter in jede Nervenzelle seines Körpers ergoss.
    Er sah, dass Rinn aus dem Lieferwagen sprang und sich mit einer Pistole in der Hand vor ihm aufbaute – ein uralter, rostgesprenkelter Webley-Revolver, der seinem Großvater gehört haben musste. Mit einem manischen, triumphierenden Lächeln brüllte er das Vaterunser auf ihn herab.
    »Vater unser, der Du bist im Himmel,
    geheiligt werde Dein Name …«
    Der lange Lauf zielte direkt zwischen Mulcahys Augen, und er konnte nicht einmal zum Schutz einen Arm heben.
    »Dein Reich komme …«
    Instinktiv versuchte Mulcahy, sich von ihm wegzurollen, schaffte es aber nicht, und dann, wie eine himmlische Vision, sah er hinter Rinn einen dunklen Schatten erscheinen. Es war Cassidy mit etwas Schwarzglänzendem, Großem in der Hand – es sah aus wie ein großes Metallkreuz –, und er holte

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