Der Priester
möchte ich Sie daran erinnern, dass Sie kein Ein-Mann-Orchester sind wie in Madrid. Und so lange Sie unter meinem Kommando stehen, halten Sie sich wie alle anderen an die Spielregeln. Ist das klar?«
Mulcahy hielt seinem finsteren Blick stand und erwiderte: »Und was passiert, wenn sich ›etwas Passendes‹ ergibt, während ich noch an diesem Fall arbeite?«
Healys Augen zogen sich zusammen, als er Mulcahy mit seinem Kopf noch etwas näher kam.
»Dann werden Sie wohl einfach auf die nächste passende Gelegenheit warten müssen, oder?«
Brogan sah auf die Uhr: Viertel nach elf. Was zum Teufel wollte Mulcahy damit bezwecken? So hilfreich sein Einsatz gestern auch war, hielt sie ihn doch für einen Querschläger. Tja, der würde Augen machen, wenn er meinte, hier mit Verspätung hereinschneien und ihr Team überfahren zu können. Es war ihre Ermittlung.
Sie klatschte in die Hände, damit es etwas ruhiger wurde. »Okay, alle miteinander, los geht’s, wir haben lange genug herumgehangen.«
Im vollgestopften Raum im Sittendezernat hängte Cassidy Fotos ans Whiteboard, die der Gerichtsmediziner von Jesica Salazars zerschundenem Gesicht gemacht hatte. Normalerweise hätte dieses Treffen in diesem Stadium der Ermittlungen in der zuständigen Polizeiwache stattgefunden, also der Dundrum Garda Station. Sie wären da eingefallen, hätten sich einen Raum beschafft und mit den dortigen Beamten zusammengearbeitet. Sie hätten die Beamten im Revier beraten, gelenkt und auch die Leitung übernommen, ihnen jedoch den Großteil der Arbeit überlassen. Nur wenn der Fall sehr komplex war oder, wie hier, besonders große Diskretion erforderte, mussten sie sich mit ihren eigenen gottverlassenen Büros im vierten Stock am Harcourt Square begnügen. Brogan sah sich um und verfluchte Healy zum wiederholten Male wegen seiner Medien-Paranoia. Es war das kleinste, unbequemste Büro, in dem sie jemals hatte arbeiten müssen. Alle Stühle waren angeschlagen, die schlammbraunen Wände und die abgewetzten, grauen Teppichfliesen sahen aus, als wären sie seit der Erbauung des Gebäudes in den frühen Siebzigern nicht mehr gereinigt worden. Sie würde jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um hier rauszukommen. Aber jetzt saßen sie hier wahrscheinlich erst einmal ein paar Wochen lang fest.
Es waren nur sieben Beamte im Raum, einschließlich der beiden Streifenpolizisten aus Dundrum, trotzdem war es schon jetzt heiß und stickig. Ein größeres Team hatte Healy nicht genehmigt – je mehr Leute davon wussten, desto schneller konnte jemand etwas ausplaudern, hatte er erklärt. Kurz darauf hatte er Brogan – trotz seines unablässigen Gejammers – angefaucht, dass sie es schließlich nicht mit einem Mord zu tun hätte. Großkotziger Wichser. Außerdem hätte sie ihm eine scheuern können, weil er ihr Mulcahy aufs Auge gedrückt hatte. So einer hatte ihr gerade noch gefehlt – ein Spion in den eigenen Reihen, der jede ihrer Entscheidungen kontrollierte.
»Chef?«
Sie blinzelte kurz, als ihr klar wurde, dass alle Leute im Raum sie anstarrten und darauf warteten, dass sie etwas sagte.
»Okay …« Sie hustete zweimal und ordnete ihre Gedanken. »Ein paar von uns haben gestern und heute Morgen schon ein paar Sachen in Gang gesetzt, aber für alle, die neu dabei sind, wird Sergeant Cassidy erst einmal zusammenfassen, was wir bisher wissen, damit wir alle auf dem aktuellen Stand sind. Dann können wir uns Gedanken über eine angemessene Strategie machen. Zuvor allerdings noch einmal der Hinweis, dass absolut nichts von dieser Geschichte an die Öffentlichkeit dringen darf. Wer etwas erzählt, muss sich auf die schlimmste Versetzung gefasst machen, die man sich vorstellen kann.«
Durch ein kurzes Murmeln wurde Zustimmung signalisiert, dann wandte Brogan sich an Cassidy. »Andy?«
Der stellte sich vor das Whiteboard und deutete mit einem Kugelschreiber auf die entsprechenden Fotos, während er in einem kurzen Vortrag den bisherigen Stand der Ermittlungen wiedergab. »Ihr seht hier Jesica Salazar – das ist die Kurzform ihres Namens, reicht aber eigentlich, oder? Sie ist sechzehn Jahre alt, spanische Staatsbürgerin und macht hier in Dublin einen vierwöchigen Sprachkurs. Ihr kennt diese Mädchen, davon gibt es ja genug in der Stadt …«
Brogan ließ ihre Gedanken schweifen und verglich das Gesicht ihres Sergeants mit denen, die ihn ansahen. Seine Miene war wie üblich finster, fast schon aggressiv, seine breitbeinige Haltung eine Parodie
Weitere Kostenlose Bücher