Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
kam aus dem Stockwerk über ihm. Das musste er sein! Vil glitt lautlos die Stufen hinauf. Er hoffte, den Mann allein anzutreffen, denn er hatte Fragen an ihn – aber er wusste nicht, was er machen würde, wenn seine Frau oder jemand anders bei ihm war. Das Bellen erklang wieder. Es war das eines jungen Hundes. Vil folgte dem Geräusch.
Das Bellen verstummte und ging in ein warnendes Knurren über.
» Was hast du denn, mein Schöner? « , fragte eine Männerstimme. » Ist das wieder der Hunger, der dich quält? Siehst du dieses Fleisch, bestes Rindfleisch, aber das bekommst du erst morgen. Glaube mir, es ist nur zu deinem Besten, denn der Hunger macht dich böse, und das musst du sein, wenn du ein Gewinner sein willst. «
Vil öffnete die Tür einen Spalt. Der Richter stand an einem Käfig, den man mitten in dieses herrschaftliche Zimmer gebaut hatte, und in diesem Käfig kauerte ein junger, abgemagerter Wolf und blickte Vil mit gefletschten Zähnen unverwandt ins Gesicht.
Der Richter folgte dem Blick. Vil stürmte los. Er war bei dem Mann, bevor dieser wusste, wie ihm geschah, packte ihn an der Kehle, drückte ihn in einen Sessel und ließ ihn das Messer sehen. » Kein Laut! « , zischte er.
Der Wolf knurrte in seinem Käfig, sprang gegen das Gitter und ließ ein heiseres, wildes Bellen hören. Das ganze Haus musste es hören. Vil verfluchte ihn, denn nun war klar, dass er keine Zeit haben würde, den Richter zu verhören.
Vil nahm das Tuch vom Gesicht. » Wisst Ihr, wer ich bin? «
Unbal Titior schüttelte den Kopf.
» Ich bin Viltor Merson, Aretor Mersons Sohn. Der Sohn des Mannes, den Ihr zum Tode verurteilt habt. «
Der Richter hatte sich offenbar wieder gefasst. » Mir ist völlig gleich, wer du bist! Lass mich los, oder du bist der Nächste, dessen Kopf rollen wird! «
» Wer saß mit Euch in diesem Gericht, Titior? «
Der Wolf begann so durchdringend zu heulen, dass Vil fast sein eigenes Wort nicht mehr verstand.
» Du unverschämter Strolch. Wenn ich mit dir fertig … « Er stockte, denn Vil hatte ihm das Messer in den Bauch gerammt. » Wie kannst du es wagen …? «
» Wenigstens Reue hätte ich erwartet, Richter « , sagte Vil düster. » Und jetzt sagt mir ein paar Namen. Dann lasse ich vielleicht zu, dass man Euch rettet. Noch ist Zeit. Also – wer waren die anderen? «
» Du Narr, du Sohn eines Hundes, selbst wenn ich es wüsste, würde ich dir gar nichts … « Der Satz endete in einem Stöhnen, denn Vil riss den Mann aus dem Sessel, schob ihn zum Käfig und presste ihn gegen das Gitter.
» Eure letzte Chance, Titior, sonst werfe ich Euch Eurem Wolf zum Fraß vor. «
Der Richter war bereits wachsbleich, und der blutige Fleck auf seinem Hausmantel wuchs und wuchs. » Aber ich weiß doch gar nicht, wovon Ihr redet « , brachte er hervor, spuckte Vil Blut ins Gesicht, und seine Beine gaben nach. Er wollte sich am Gitter festhalten, griff aber ins Leere. Mit einem Satz war der Wolf da und verbiss sich in die Hand, die ihn nicht gefüttert hatte.
Der Richter ließ einen gutturalen Schrei hören.
Vil fluchte. Er hörte Stimmen auf der Treppe, rannte zum Fenster, riss es auf und stieß den Laden zurück. Da war der Palast des Archonten, und auf dem Platz standen eine Menge Leute, die zum Fenster hinaufstarrten. Vil schlug sich das Tuch vors Gesicht und rannte aus dem Zimmer. Zwei Bedienstete kamen ihm auf dem Flur entgegen. Er brüllte sie an, bedrohte sie mit dem blutverschmierten Messer. Sie wichen zurück, und er rannte an ihnen vorbei, die Treppe hinab. Vielleicht schaffte er es bis zur Tür. Doch was danach kommen würde, auf dem Platz voller Wachen und Gardisten, das wusste er noch nicht.
Hauptmann Lizet rieb sich die müden Augen. Die Scholaren hatten die Steine – sie betonten ausdrücklich, dass es keine magischen Steine waren – in kurze Messingröhren gesteckt, die man sich ins Auge klemmen konnte. Okular, hatte die Ghula das genannt. Er musste zugeben, dass sie einfallsreich waren. Allerdings hatte er Kopfschmerzen, denn durch das graue Glas sah man alles nur verschwommen.
Die Ghula hatte dafür gesorgt, dass besonders viele Kerzen aufgestellt wurden, aber dennoch gab es unten, durch den Stein betrachtet, nur graues, doppelt gebrochenes Zwielicht. Lizet war wie die Ordensschwester der Meinung, dass der Schatten erst am Abend kommen würde, denn das Wenige, was die Scholaren über diese Meuchelmörder an Wissen hatten zusammentragen können, hatte ihnen verraten, dass sie
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