Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)

was los war. Er nahm Vil die Kerze aus dem Mund und begann nun, ihn wieder mit Öl einzureiben. Einige lange Momente und tiefe Abschürfungen später lag Vil keuchend auf dem Dach.
    » Zieh dich lieber rasch an. Wenn unser Freund da unten die Kisten sieht, werden sie schon bald wissen, was los ist « , flüsterte Pek, der die Luke wieder geschlossen hatte.
    Wenig später kletterten sie am Seil hinunter in die schmale Gasse, in der sie die Wachen gesehen hatten. Die Straßen schienen verlassen, nur der Winternebel wallte schwerfällig über das Pflaster. Dann schlug der Wächter Alarm.
    Sie konnten ihn bis auf die Gasse schreien hören. Sie rannten. Ein helles Hornsignal ertönte, und aus scheinbar allen Richtungen kamen schwere Stiefel herangepoltert.
    Pek zog Vil in eine dunkle Ecke. » Das war knapp « , keuchte er, als draußen Wachen mit klirrenden Waffen vorüberrannten.
    » Und was jetzt? « , fragte Vil aufgeregt.
    » Im Augenblick rennen sie alle zum Lager. Wenn wir Glück haben, ist der Weg ins Katzenviertel frei. «
    » Aber in der Richtung werden sie doch zuerst suchen. Wir sollten in die andere Richtung gehen. «
    » Guter Einwand, aber rennen ist wohl besser als gehen « , meinte Pek.
    Sie spurteten los, hetzten durch den Nebel, wichen allen Geräuschen aus, irrten durch Seitengassen und kletterten über Hofmauern. Bald wurden die Signalhörner leiser. Offenbar vermutete man die Diebe wirklich auf dem Weg ins Katzenviertel.
    Sie waren schon lange im Seeviertel, in dem die Kauffahrer wohnten, als sie endlich anhielten.
    » Die betreiben ganz schön viel Aufwand für einen einfachen Diebstahl « , meinte Pek keuchend.
    » Weißt du denn nicht, wen wir bestohlen haben? « , fragte Vil japsend. Und als der andere den Kopf schüttelte, zeigte er ihm im Schein einer Straßenlaterne das weiße Symbol.
    » Scheiße – die Bruderschaft? Jetzt wird mir so einiges klar. Ich denke mal, da wird der Boss den Preis sicher neu verhandeln. «
    » Der Boss? «
    » Du wirst ihn noch kennenlernen. Hast dich gut geschlagen heute Nacht « , sagte Pek grinsend.
    » Und wann kriege ich mein Geld? «
    » Wenn das Geschäft abgewickelt ist. «
    » Und wie lange dauert das? «
    » Du hast es eilig, wie? Es dauert so lange, wie es dauert. Und da es hier um Eigentum der Bruderschaft geht, kann es ein bisschen länger dauern als sonst. Aber jetzt komm, wir sind noch nicht in Sicherheit. Das kann noch eine lange Nacht werden. «
    Sie wurde es auch, denn als sie versuchten, in das Katzenviertel zurückzukehren, stießen sie immer wieder auf Patrouillen, denen sie ausweichen mussten.
    » Gut, das reicht « , sagte Pek irgendwann. » Wir trennen uns hier und schlagen uns einzeln durch. Dir würde ich einen Umweg über das Meer empfehlen – du riechst nach ranzigem Olivenöl. «
    » Besten Dank, und du? «
    » Ich werde das hier verstecken und es morgen oder übermorgen holen, sobald sich die Aufregung gelegt hat. «
    » Und du bist nicht neugierig zu sehen, was da drin ist? «
    » Doch, aber ich bin nicht lebensmüde. Schlimm genug, dass es der Bruderschaft gehört. «
    » Und wann kriege ich … «
    » Nur die Ruhe. Es wird eine Weile dauern, wie gesagt. Findest du den Goldenen Kelch wieder? «
    » Was für einen Kelch? «
    » Die Schänke, in der wir unser erstes Bier getrunken haben. Sie heißt tatsächlich so, auch wenn man dort nicht mal einen sauberen, geschweige denn einen goldenen Kelch zu Gesicht bekommen wird. Jedenfalls kannst du mich da an den Markttagen finden. Aber lass erst einmal zwei oder noch besser drei Wochen verstreichen. Offenbar haben wir hier viel Staub aufgewirbelt, und der muss sich erst legen. «
    Vil nickte unglücklich. Es würden also wieder viele Tage vergehen, in denen er seiner Schwester nicht beistehen konnte.

» Es ist ein Rätsel « , sagte Bruder Melid nicht zum ersten Mal.
    Leutnant Lizet nickte flüchtig. Er besah sich die aufgebrochenen Kisten im Schein seiner Lampe. Nur eine war geleert worden.
    » Dort hinten gibt es Säcke mit Pfeffer und Tee, aber das hat die Einbrecher ganz offensichtlich nicht interessiert. «
    » Den Einbrecher. «
    » Wie? «
    » Es war nur einer « , meinte Lizet.
    » Wie könnt Ihr das wissen? «
    » Er hat nur die oberen Kisten aufgebrochen, weil sie zu schwer sind, um sie allein zu bewegen. Zwei Männer hätten vermutlich auch in der Reihe darunter nachgesehen. «
    » Und habt Ihr auch schon eine Vorstellung, wie sie in dieses Lager gelangt sind? Die Schlösser und