Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
Grams hatte wohl gemerkt, was mit ihm los war, und das Reden übernommen. Sie bewies eine bewundernswerte Geduld mit dem Alten, aber immer, wenn es so aussah, als habe Ela ihn davon überzeugt, dass es keinen Grund mehr gab, den Toten das Verlassen der Ebene zu verwehren, sprang er auf und rannte davon, kehrte zurück und behauptete, es sei nicht möglich oder nicht erlaubt, was in Sahif den Verdacht weckte, dass es eben doch möglich war. Irgendwann gab Lenn dann auch zu, dass es vielleicht eine Möglichkeit gebe, es aber nicht in seiner Macht liege, weil er gar nichts von solchen Dingen verstehe. Da konnte Sahif kaum noch folgen. Aber Ela Grams bewies Beharrlichkeit. »I ch weiß, dass du es kannst, Lenn, ich weiß, dass du selbst ein Magier bist. Ich sehe es«, behauptete sie.
Sahif war verblüfft. Wie kam sie nur auf diesen Gedanken?
»I ch? Ein Zauberer? Ich? Ja, vielleicht, früher einmal. Mit meinen Brüdern. Da wachte ich. Da war ich ein Zauberer. Jetzt bin ich ein Maler, der Zeichen auf Felsen malt, ein Gärtner, der Zweige schneidet und schmückt.«
Sahif betrachtete den Alten plötzlich mit ganz anderen Augen. Wie alle jungen Schatten hatte er ihn für einen Verrückten gehalten, der Rutenbündel schnitt und alte Zeichen nachzog, Handlungen, die vielleicht einen Sinn ergaben– vielleicht aber auch nicht. Am weitesten verbreitet war die Ansicht gewesen, er sei ein Diener, zurückgelassen von den Zauberern, die einst auf dieser Insel gewacht hatten, jemand, der einfach ohne Verstand Dinge wiederholte, die er bei seinen Meistern gesehen hatte. Nie wäre Sahif auf den Gedanken gekommen, dass der Alte selbst ein Magier sein könnte.
»I ch wusste es, Lenn. Du bist ein Magier, mit Macht. Du kannst den Bann aufheben, der um diese Insel liegt, wenn du willst. Vielleicht nur für kurze Zeit. Den Toten würde das genügen«, sagte Ela.
»A ber das geht nicht. Der Marghul, er darf Du’umu nie wieder verlassen. Nie wieder.«
»E r ist tot, Lenn«, wiederholte Ela geduldig.
»A ber die Wächter werden es nicht glauben, die Wächter werden es nicht erlauben, aber was wollen sie? Das ist schwer zu erraten.«
»D ie Massarti? Was ist mit ihnen?«
»E s geht nicht ohne sie. Der arme Lenn kann den Bann nicht heben. Nicht ohne seine Brüder.«
Sahif starrte den Alten an. Auch Ela hatte innegehalten. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. Vermutlich dachte sie, ebenso wie er, dass sie sich verhört haben musste.
»D u nennst die Wächter deine Brüder ? «, fragte Sahif.
»B rüder. Früher. Das waren sie.«
»W ann?«, fragte Ela.
»V or vielen Jahren, Jahrzehnten. Die Soldaten wollten nicht bleiben, sie verließen die Mauern, verließen Bariri. Aber wir blieben. Zauberer müssen mehr Geduld haben als Soldaten. Wir wachten, denn er war noch da. Der Fürst der Dunkelheit. In Du’umu.«
Der Alte Lenn sprach sehr leise, doch auch klarer als zuvor: »W ir wachten, warteten, dass der Marghul endlich starb, aber die Jahre, Jahrzehnte vergingen, er starb nicht, und meine Brüder verloren die Geduld. Sie wollten hinein, dem Bösen ein Ende bereiten. Ich habe sie angefleht, es nicht zu tun, aber sie hörten nicht auf den armen Lenn, gingen, und ich ging nicht mit, weil ich mich fürchtete.« Der Blick des Alten war völlig leer. »S ie zogen vor die Stadt und forderten das Böse heraus. Der Marghul kam. Ich habe zugesehen, aus der Ferne. Ein Kampf, wie ihn die Welt niemals zuvor erlebt hat. Und niemand sah es, außer dem armen Lenn. Die Erde bebte, der Himmel stöhnte. Meine Brüder, sie waren so stark. Nie wurden mächtigere Zauber gewoben. Doch die Ebene um Du’umu ist verflucht, verseucht, die Magie verdorben und verdreht. Ihre Zauber wurden davon vergiftet, sie missrieten, gingen fehl. Meine Brüder ließen alle Vorsicht fahren, sie öffneten ihren Geist weiter und weiter dem Strom der Magie. Sie durchdrang sie, sie verschmolzen mit ihr zu einer unerhörten Macht, und der Marghul floh vor ihnen, zurück nach Du’umu. Doch die Magie, die Ebene, sie gab sie nie wieder her. Die Magie, die sie aufgesogen hatten, war verdorben durch das Werk der Totenbeschwörer, sie hat ihre Leiber vernichtet und ihren Geist zerstört. Sie waren nicht mehr Zauberer, Geister wurden sie, ohne Verstand. Ich muss den Ring nun gegen sie bewachen, den magischen Käfig, den sie selbst beschworen haben, sie einsperren mit dem Feind. Jetzt wachen sie dort, bis in alle Ewigkeit. Aber wenn der Marghul tot ist…« Sein Blick schweifte wieder
Weitere Kostenlose Bücher