Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
sie Becca schon lange nicht mehr so gelöst erlebt hatte. Das viele Lernen für die Abschlussprüfungen hatte eine tiefe Falte auf ihrer Stirn hinterlassen, die selbst jetzt noch sichtbar war. »Ich glaube, ich habe meinen Traumjob gefunden.«
»Du kannst dir gerne eine Zeitlang freinehmen, während die Abschlussprüfungen laufen«, erklärte Anna. »Du wirst bestimmt eine kleine Pause brauchen.«
Becca antwortete darauf nicht. Stattdessen ließ sie ihre Hand über die Zaunspitzen hüpfen.
»Du sagst mir, wenn ich irgendetwas für dich tun kann, nicht wahr?«, hakte Anna nach. Immer noch fühlte sie sich grenzenlos erleichtert, dass sie solche Prüfungen nicht mehr absolvieren musste. Denn selbst jetzt noch quälten sie Alpträume davon, wie sie unter einer gigantisch großen Uhr saß und einen Aufsatz über Hamlets innere Dämonen schrieb. »Meine Mum hat mir früher alle anderthalb Stunden Tee gebracht, damit mein Verstand nicht austrocknete. Als ich dann in den Prüfungen saß, hatte ich praktisch eine Tanninvergiftung.«
»Sind deine Eltern zur Uni gegangen?«, fragte Becca.
Anna schüttelte den Kopf. »Nein, ich war die Erste in der Familie. Mein Vater war wie auch schon sein Vater Bauarbeiter, und meine Mutter war Krankenschwester. Sie hat eine Berufsfachschule besucht, aber heutzutage hätte sie wahrscheinlich Medizin studiert.«
»Dann war es also eine richtig große Sache, dass du zur Uni gegangen bist.«
»Ich denke schon.« Anna erinnerte sich noch gut an den Gesichtsausdruck ihrer Eltern, als die Prüfungsergebnisse eintrafen. Als wären sie zwar stolz auf ihre Tochter, würden aber gleichzeitig einen Heidenrespekt vor ihr empfinden. »Ich hatte in fünf Fächern die Bestnote. Ihre Tochter, das ›Genie‹. Sie haben sich immer gewünscht, dass ich einmal das erreichen würde, was ihnen nicht möglich war. Aber so sind Eltern nun einmal – sie wollen nur das Beste für dich.«
» Wolltest du denn zur Uni gehen?«
»Natürlich! Ich wollte mich schon immer mit Massen von Büchern umgeben. Hätte ich es noch ein wenig geschickter angestellt, hätte ich bestimmt auch an der Uni bleiben und forschen können.« Anna seufzte. »Aber ich glaube, mein jetziger Job ist beinahe genauso gut. Vielleicht sogar noch besser. Ich glaube nämlich nicht, dass eine Doktorarbeit zum Thema Kinderliteratur angenommen worden wäre. Es sei denn, der Micky-Maus-Abschluss wäre mittlerweile eingeführt worden.«
Halb stöhnte Becca, halb lachte sie. »Anna, das war ein schlechter Witz, wie Dad ihn machen würde. Das färbt wohl allmählich auf dich ab.«
»Tatsächlich?« Anna tat schockiert.
Das ist wirklich nett , dachte sie und schob sich die schwere Büchertasche auf die andere Schulter. Dies war eine Unterhaltung, wie sie sie sich schon lange gewünscht hatte. Vielleicht bedeutete das Geständnis, das Becca in Bezug auf Owen gemacht hatte, dass sie beide sich ein wenig nähergekommen waren.
»Wo bist du denn zur Uni gegangen?«, fragte Becca.
»In Manchester. Ich wäre liebend gern nach Cambridge gegangen«, erklärte Anna. »Aber keiner meiner Schulfreunde hat sich dort beworben, deswegen habe ich es erst gar nicht versucht. Wäre ich noch einmal in der damaligen Situation, würde ich mich sofort dort bewerben. Auf jeden Fall. Und ich sage dir: Ich komme dich definitiv besuchen.«
Becca kaute auf ihrer Lippe herum, bevor es aus ihr herausplatzte. »Ich weiß, dass jeder von mir erwartet, dort erfolgreich zu sein. Was aber, wenn alle anderen dort viel besser und schlauer sind als ich? Immerhin ist es nicht schwer, in Longhampton als ganz gescheit rüberzukommen – zumindest nicht, wenn die Hälfte meines Jahrgangs am Montagmorgen noch verkatert ist … verrat Dad bitte nichts davon, ja? Aber Cambridge … da tummeln sich nur die Klügsten der Klügsten. Was, wenn ich die geeigneten Schulnoten vorweisen kann, es aber in Cambridge nicht schaffe? Was, wenn ich dort zwar angenommen werde, aber gar nicht hinwill ?«
Anna hatte Becca noch nie, auch nicht im Entferntesten, etwas Negatives über ihr anvisiertes Jurastudium sagen gehört. Diese Aussage nun überraschte sie schon sehr. Anna fragte sich, wie lange Becca diese Bedenken wohl schon mit sich herumschleppte, ohne einen Ton davon zu sagen.
Becca beschleunigte ihre Schritte, als sei dies die einzige Möglichkeit, ihr Anliegen vorzubringen. »Dad ist überzeugt davon, wie leicht mir das alles fallen wird. Er meint, man müsse nur Bücher auswendig lernen und
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