Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
einzuschlafen. Und das, obwohl sie das Schlafzimmer mit ihrer neuen Bettwäsche aus dem Laden umdekoriert hatte, die alles in eine Marshmallow-weiße Oase der Ruhe tauchte.
Schuld daran war nicht nur das schwül-heiße Wetter. Schon seit einigen Tagen war Anna immer wieder mit dunklen Augenringen bei der Arbeit aufgetaucht, ohne dabei aber zu verraten, was sie so bedrückte.
Michelle war klar, dass es sich um ein familiäres Problem handeln musste. Es verletzte sie allerdings, dass Anna offensichtlich nicht erwartete, dass sie die Situation verstehen könnte. Mit jedem Tag, der verstrich, wurden ihre Unterhaltungen kürzer und bezogen sich mehr und mehr nur noch auf das Geschäftliche. Michelle wurde unfassbar eifersüchtig auf jene Person, mit der Anna sich nun über ihre Probleme unterhalten mochte.
Und dann gab es da immer noch den Buchladen. Anna trug eine überraschend neue Selbstsicherheit zur Schau, was ihre Kampagne hinsichtlich der »klassischen Liegestuhl-Schmöker« betraf. Doch da die meisten Longhamptoner verreist waren oder sparen wollten, war auch dies ein verlorener Kampf. Michelle fiel es immer schwerer, sich Argumente einfallen zu lassen, warum sie mit dem Buchladen weitermachen sollte. Eigentlich sollte sie lieber ihr Jilly-Cooper-Hörbuch weiterhören, damit sie dieses Interview für die Zeitung geben konnten, doch Michelles Instinkte befahlen ihr nur eins: Sofort mit der Neuanordnung der Liegestühle auf der Titanic aufzuhören und so schnell wie möglich per Funknotruf die RMS Carpathia zu verständigen, damit sie sich an der Rettung beteiligte.
Tarvish fraß nicht mehr. Sie hatte alle verlockenden Knabbereien ausprobiert, doch er aß immer weniger und war wieder ganz der verdrießliche Hund, der einer schwarzen Rotationsbürste in der Autowaschanlage zum Verwechseln ähnlich sah. Rory hatte nichts gesagt, also war ihm entweder nichts aufgefallen, oder Tarvish zog es einfach vor, bei ihm zu wohnen – was dem verdammten Fass den Boden ausschlagen würde.
Und Harvey. Oh Gott. Um ihn herum war es merkwürdig still geworden; was aber nichts heißen sollte. So leicht würde er sich nicht geschlagen geben, so viel stand fest. Er wartete darauf, dass sie die Sache durchzog und ihm die Scheidungspapiere schickte. Doch welche Höllenkräfte würde es entfesseln, wenn sie dies tatsächlich durchzog? Welche Geschichte würde er ihrem Dad auftischen – wie weit würde Harvey wohl gehen?
Außerdem gab es noch weitaus finsterere Gedanken, die er aufgewühlt hatte – Gedanken darüber, wer sie tatsächlich war. Harvey hatte durchaus recht, wenn er behauptete, dass niemand ihr wahres Ich kannte. Nicht einmal Anna kannte sie wirklich. Michelle hatte sich ebenso minutiös und sorgfältig ihr Leben neu aufgebaut, wie sie das Haus in der Swan’s Row und den Laden renoviert hatte. Und manchmal vergaß sie dabei, was damals passiert war. Harveys Rückkehr in ihr Leben hatte die dicke Staubschicht aufgewirbelt, und in ihrem Inneren war etwas in Bewegung geraten, das ihr wirklich Angst machte.
Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die allerschlimmste Vorstellung, bevor sie sich ihr schließlich ganz vorsichtig näherte. Wie konnte sie sich immer noch zu ihm hingezogen fühlen, wenn er sie so ansah? Sie hasste Harvey, aber er kannte sie durch und durch. Und er wollte sie immer noch.
Der einzige Trost war, dass ihr Vater nicht krank war. Zumindest soweit sie das beurteilen konnte. Eines Morgens war sie einfach ins Auto gestiegen, hatte ihren Eltern einen Überraschungsbesuch abgestattet und die beiden allein erwischt, bevor Harvey Wind von ihrer Anwesenheit bekam. Als ihre Mutter einmal kurzzeitig das Zimmer verlassen hatte, um mit einem ihrer Brüder zu telefonieren, hatte Michelle ihren Vater auf Umwegen gefragt, wie es ihm ginge und wie er sich fühle – das schien ihn zwar überrascht zu haben, doch er hatte ihr von dem Autorennen berichtet, an dem er an seinem Geburtstag teilnehmen wollte. Das klang nicht nach einem »schwachen, gebrechlichen« Mann.
Als sie das Gespräch auf das Unternehmen gelenkt hatte, war kein Wort darüber gefallen, dass Harvey und sie die Firma übernehmen sollten. Der Gedanke, dass Harvey mit ihrem Vater, der ihm blind vertraute, ebenso spielte wie mit ihr, brachte Michelle zur Weißglut.
Sie betrachtete die perfekte Stuckrosette über ihrem Bett. Es war schon nach fünf. Jetzt würde sie nicht mehr schlafen.
Was kann ich in den nächsten Stunden Sinnvolles tun, überlegte
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