Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
Toilettentür, ihre Miene eine Mischung aus Neugier und Missfallen, der Mund zu einer schmalen, scharlachroten Linie zusammengepresst. Anna musste sich schon die Hände in die Seiten stemmen – so stark war ihr Drang, Evelyn zu ohrfeigen.
»Becca hat eine Riesenkrise«, erklärte sie angespannt. »Ist das nicht offensichtlich?«
»Das ist mehr als offensichtlich. Das ist sogar so offensichtlich, dass man das sogar noch auf dem Flur mitbekommt. Was ist es denn diesmal?« Evelyn neigte den Kopf zur Seite. »Hat es wieder etwas mit Sarah zu tun? Sie war schon immer eine Unruhestifterin, selbst dann schon, als sie sich kurz nach ihrem Schulabschluss hat schwängern lassen. Das habe ich Philip auch deutlich gesagt – eine Mutter merkt so etwas ja sofort, wenn ein Mädchen keine Charakterstärke besitzt, aber …«
»Mit Sarah hat das nichts zu tun«, fauchte Anna und merkte, wie Becca in ihren Armen zusammenzuckte.
»Rebecca?« Evelyn sah sie mit einem stechenden Blick an. »Hat es dir die Sprache verschlagen? Bist du nicht ein wenig zu alt für ein solches Theater? So ein Verhalten würde ich von deiner törichten kleinen Schwester erwarten – einfach so aus dem Zimmer zu laufen wie eine Diva. Was soll das? Sie zerreißen sich alle schon das Maul, weißt du?«, fuhr sie fort, als sei sie persönlich beleidigt worden. »Beim Abendessen wird es garantiert kein anderes Gesprächsthema geben …«
»Hör sofort damit auf!« Wie Phil – dieser fürsorgliche, lässige, liebevolle Phil – mit dieser egozentrischen alten Schachtel verwandt sein konnte, war Anna unbegreiflich. Evelyn hatte eine solche Familie gar nicht verdient !
»Evelyn«, erklärte Anna mit vor Wut zitternder Stimme. »Ich bin nicht mit dir verwandt, deswegen habe ich keinerlei Hemmungen, dir zu sagen, dich doch bitte um deine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.«
»Sie ist meine Enkelin, und wie du gerade so schön festgestellt hast, bist du nicht mit uns verwandt«, entgegnete Evelyn. »Unter diesen Umständen und als einziges anwesendes echtes Familienmitglied habe ich wohl jedes Recht der Welt zu fragen, was los ist.«
»Becca, komm«, befahl Anna, bevor sie vollends die Beherrschung verlor. Schnell legte sie einen Arm um Becca und dirigierte sie nach draußen.
»Ich hatte mehr von dir erwartet«, beschwerte sich Evelyn, als Anna sich an ihr vorbeidrängte. »Viel mehr.«
Anna konnte nicht genau sagen, ob Evelyn sich nun auf sie oder Becca bezog, doch sie war viel zu wütend, um nachzufragen.
Anna rief Phil bei der Arbeit an, und als sie und Becca draußen vor dem Haus vorfuhren, konnten sie ihn schon in der Küche stehen sehen, wie er sorgenvoll aus dem Fenster sah.
»Oh mein Gott«, stammelte Becca leise. Sie schien in ihrem Sitz zusammenzuschrumpfen. »Er wird so enttäuscht sein von mir.« Das letzte Wort ging in einem schluckaufartigen Schluchzer unter.
Anna drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hand. »Denk immer daran: Ganz egal, was er gleich als Erstes sagen wird – er liebt dich«, erklärte sie nachdrücklich. »Und er wird dich auch immer lieben, ganz gleich, was du tust. Er mag vielleicht zuerst ein paar Sachen sagen, die ihm hinterher leidtun, aber …«
»Kannst du es ihm nicht sagen? Kannst du nicht als Erste reingehen und es ihm beibringen?«
»Nein.« Annas Stimme klang fest entschlossen. »Ich stehe voll und ganz hinter dir, aber wenn du willst, dass er dich wie eine Erwachsene behandelt, dann musst du das selbst tun. Wir stehen das zusammen durch.«
Becca nickte, als täte ihr der Kopf bei jeder Bewegung weh.
»Und ich werde dir bei allen nötigen Telefonaten helfen. Ich verspreche dir, dich dabei auch nicht zu belehren und …« Anna hielt inne, weil sie selbst den Tränen nahe war. Das waren Anrufe, die zu erledigen sie selbst gehofft hatte, und das mit schöneren Nachrichten als dieser hier. »Becca, ich weiß, dass es nicht dasselbe ist, als wäre deine Mum tatsächlich hier. Doch bis sie hier ist, werde ich alles für dich tun. Das verspreche ich dir. Du bist mir unendlich wichtig. Wenn ich dir einen Teil deines Kummers abnehmen könnte, würde ich es tun.«
Becca sah zu Anna auf. »Ich weiß. Und ich brauche dich hier, eben weil du nicht meine Mum bist«, erwiderte sie. »Das klingt irgendwie falsch. Aber ich meine es wirklich positiv.«
Unbeholfen umarmte sie kurz Anna, dann stieg sie entschlossen und mit zusammengepressten Zähnen aus dem Auto aus, bevor sie es sich noch einmal anders überlegen
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