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Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Titel: Der Prinz in meinem Maerchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon
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in der Schule vorgelesen wurde? Oder von Ihrer Mutter? Erinnern Sie sich noch an dieses unglaubliche Gefühl, wenn in Ihrem Kopf die gesamte Geschichte zum Leben erweckt wird?«
    »Nein.« Kelsey verzog entsetzt das Gesicht bei dem Gedanken, dass irgendetwas in der Nähe ihres Kopfes zum Leben erweckt werden könnte.
    »Ist das so eine städtische Kulturveranstaltung?«, fragte Gillian. Mit strengem Blick verfolgte sie stets die Finanzlage der Stadt.
    »Nein, es handelt sich dabei um eine Gruppe von Ehrenamtlichen. Leute, die sich damals in der Bibliothek zusammengefunden haben, um all jene Menschen zu erreichen, die den Kontakt zum geschriebenen Wort und zu Büchern verloren haben. Weil sie sich vielleicht nicht mehr konzentrieren oder nicht lesen können oder aber nichts mehr sehen … Da gibt es die verschiedensten Gründe. Ich bin für das Seniorenheim zuständig, meine Assistentin Wendy hat sich damals um die Frühförderung in der Schule gekümmert, und auch im Krankenhaus ist jemand tätig.«
    »Und Sie … lesen einfach nur vor?«, erkundigte sich Gillian.
    Anna nickte. Es fiel ihr schwer zu erklären, wie dankbar und lohnend es war, den alten Menschen vorzulesen, ohne dabei überheblich zu klingen. Doch es verlieh ihr immer wieder das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, von dem die alten Leute noch lange etwas hatten, nachdem sie schon wieder gegangen war. »Manchmal lesen die Senioren auch selbst etwas vor, dann machen wir kurz Pause und diskutieren über den gelesenen Abschnitt. Manchmal erzählen sie auch von Erinnerungen, die dadurch wieder wach geworden sind. Ich muss zugeben, dass mir manches Mal wirklich die Tränen kommen; es ist, als würden die alten Leute aufwachen und einen auf einmal mit jugendlichem Blick anschauen. Und all das nur, weil jemand eine Idee hatte und diese dann aufgeschrieben hat, um andere daran teilhaben zu lassen. Dann hat sich diese Idee weltweit in den Köpfen der Leute festgesetzt, und es ist, als könne dies die Zeit zurückdrehen. Ist das nicht fantastisch?«
    Kelsey schien das keineswegs zu überzeugen, doch Anna bemerkte ein Funkeln in Gillians Blick. Beim nächsten Mal kommt sie einfach mit, beschloss Anna.
    Michelle tippte auf ihre Armbanduhr. »Wir kürzen ihnen gerade ihre Jean-Plaidy-Stunde. Lass uns gehen!«
    Nachdem Anna einer Handtasche aus Seide, die mit winzigen Chiffon-Schmetterlingen verziert war, einen letzten Blick über die Schulter zugeworfen hatte, ließ sie sich aus der behaglich warmen Umarmung von Home Sweet Home reißen, hinaus auf die eiskalte Hauptstraße.
    Nur widerwillig hatte sich Anna von ihrem Sportflitzer zugunsten eines Familienautos getrennt, doch den dynamischen Fahrstil hatte sie beibehalten. Jedenfalls war Michelle ziemlich erleichtert, als Anna endlich den Blinker setzte und auf die von Bäumen gesäumte Einfahrt eines edwardischen Herrenhauses mit einem weitläufigen Wendekreis abbog. Akkurat geschnittene Buchsbaumhecken säumten die Rasenflächen, auf denen zwar keine Crocketbügel zu erkennen waren, dafür stand dort aber ein Schild mit der Aufschrift »Butterfield Seniorenheim«. Vor dem Haus parkte ein für den Transport von Rollstühlen geeigneter Minibus.
    »Ich wusste gar nicht, dass es das hier in Longhampton überhaupt gibt«, gestand Michelle und bewunderte die mit Efeu bewachsene Fassade und die hohen Fenster. »Früher muss dies ein prachtvolles Anwesen gewesen sein.«
    »Es gehörte dem einzigen Industriellen Longhamptons«, erklärte Anna, als sie das Auto neben dem Minibus abstellte. »Einige der älteren Bewohner können sich sogar noch an die Familie erinnern. Aber sprich sie lieber nicht auf die Parrys an. Ich musste sämtliche Romane von Catherine Cookson von der Liste streichen, in denen Bedienstete vorkamen, da die Vorfahren einiger Bewohner hier als Dienstmädchen angestellt und auf die Familie Parry nicht sonderlich gut zu sprechen waren.«
    Michelle trat hinter Anna zurück, als diese in ihren flachen Stiefeln über den Kiesweg eilte und ihre Ankunft über den Türsummer bekanntgab. Im Spiegelglas des Windfangs betrachtete sie Anna und sich. Sie beide gaben ein witziges Paar ab, wie ein Comedy-Duo: Einerseits die schmale Michelle in ihren Jeans und den Lederstiefeln, andererseits die elegante Anna in ihrem bodenlangen Rock, die sich das blonde Haar unter eine Strickmütze gestopft und die Büchertasche über die Schulter geschlungen hatte.
    Das Spiegelbild verharrte auf dem Glas, irgendwo zwischen der eisigen

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