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Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Titel: Der Prinz in meinem Maerchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon
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Winterluft draußen und den trüben Heimmauern. Wie Geister, dachte Michelle. Sie wollte es Anna gegenüber nicht zugeben, doch Altenheime jagten ihr eine Heidenangst ein. Wäre sie nicht fest entschlossen gewesen, Mr. Quentin mit ihrem Charme so um den Finger zu wickeln, dass er seine Meinung über den Buchladen noch einmal änderte, hätte sie nie im Leben einen Fuß über diese Türschwelle gesetzt.
    Als Anna die Tür öffnete und sie in die früher einmal sicherlich recht beeindruckende Empfangshalle führte, verpuffte der erste herrschaftliche Eindruck der Außenfassade im Nu und machte dem Gestank von gekochtem Gemüse und Reinigungsmitteln Platz. Michelle suchte nach irgendwelchen Überbleibseln der ehemaligen Eleganz des Gebäudes und sah sich um. Doch es gab kaum etwas zu entdecken.
    Hier ist alles so grau, dachte sie – grau und langweilig. Wo sind denn Farben, beruhigende Düfte und vielleicht ein paar hübsche Tapeten?
    Anna, die die entsetzte Reaktion ihrer Freundin gar nicht mitbekam, stieß eine schwere Feuerschutztür auf und lächelte eine Dame an, die in einem Morgenrock aus Nylon einen Mann im Rollstuhl den Flur hinunterschob. Der Alte hatte einen ganz glasigen Blick.
    »Das ist Albert«, flüsterte Anna Michelle zu. »Das einzige Mal, als ich ihn etwas habe sagen hören, war, nachdem wir einige Kapitel von Ian McEwans Abbitte vorgelesen hatten. Danach platzte es aus ihm heraus: ›Ich habe meine Noreen in einem Luftschutzbunker in Solihull kennengelernt und hielt sie zuerst für ihre Schwester. Danach musste ich sie einfach heiraten.‹ Die Pflegerinnen hatte das beinahe umgehauen.«
    »Danach konntet ihr seinen Redeschwall gar nicht mehr bremsen?«
    »Nein.« Anna blieb vor einer weiteren Feuerschutztür stehen, öffnete sie und ließ Michelle den Vortritt. »Aber als seine Familie ihn das nächste Mal besuchen kam, haben natürlich alle Pflegerinnen und Pfleger besonders gut hingeschaut.«
    Mittlerweile hatten sie den Aufenthaltsraum erreicht, einen großen Empfangssaal mit hoher Decke und mit Ohrensesseln aus Chintz, die im Kreis angeordnet waren und auf denen alte Männer und Frauen kauerten. Einige von ihnen hatten sich umgedreht, um zu sehen, wer da hereinkam. Die anderen starrten weiterhin in die Luft, während sich ihre Hände um die Armlehnen krallten.
    Angesichts der Einsamkeit, die dieses Zimmer ausstrahlte, lief Michelle ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Sie genoss es, allein zu leben, und ertrug allein schon den Gedanken nicht, ihr hübsches Zuhause mit irgendwem zu teilen. Aber das hier war ein Beispiel dafür, wie alles enden könnte, wie ihre Mutter immer wieder betonte. Zähe, ereignislose Tage in einem Raum mit anderen ungeliebten Menschen. Und dabei waren diese nicht einmal von einer Horde Katzen umgeben, die einen hätten auffressen können.
    Die Tatsache, dass dieses Haus früher einmal von Leben erfüllt gewesen war, ließ es noch trostloser wirken als andere Häuser, die bereits mit dem Vorhaben, sie als Altenheim zu nutzen, errichtet worden waren. Butterfield wirkte mindestens so einsam und verlassen wie seine Bewohner. Die Stuckarbeiten an den Wänden waren größtenteils hinter schnöden Wandtäfelungen verschwunden. Auf dem Sims des Marmorkamins hatten einst sicherlich Einladungen und Fotografien gestanden. Die alten Damen in ihren verschlissenen Röcken hatten früher bestimmt einmal mit hoffnungsvollen jungen Männern getanzt, Seidenstrümpfe getragen, sich verliebt und Scherze gemacht. Und nun saßen sie da, eingeschlossen in ihrer eigenen Welt, und warteten – ja worauf eigentlich? Auf jemanden, der hereinkam und ihnen die verdammte Jane Austen vorlas, ob sie es wollten oder nicht?
    Alles war so still hier. Niemand sprach, es gab keine Musik, kein Fernseher plätscherte vor sich hin, kein Radio verkündete die neusten Stauberichte … nichts. Nur das leise Knacken der Heizkörper war zu hören und ein vereinzeltes Rascheln, wenn Polyesterhosen über Kissen strichen.
    Michelle presste die Lippen fest aufeinander, um Anna gegenüber nichts von den schrecklichen senffarbenen Wänden zu erwähnen. Sie wusste zwar, wie oberflächlich dies klang, aber ihr war ebenso klar, dass dies das Erste wäre, was sie um den Verstand bringen würde.
    Das hier könnte genauso gut ich sein, dachte sie, und ihr wurde schlecht vor Panik. Harvey hatte doch recht gehabt. Mum hatte recht gehabt. Das hier könnte genauso gut ich sein.
    »Wo ist deine Schwiegermutter?«, flüsterte

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