Der Prinz mit den sanften Haenden
Solitaire zurückgekehrt waren, war er mit dem Boot noch einmal herausgefahren. Niemand wusste, wohin. Es war nicht üblich, dass Jalal ohne vorherige Ankündigung eine Mahlzeit verpasste, und so wunderten sich alle, was passiert sein mochte.
Clios Sorge ging noch tiefer. Was würde passieren, wenn Jalal an einer Verschwörung gegen die Prinzen teilnahm und sie sich für eine Seite entscheiden musste?
„Er sagt immer, Disziplin sei wichtig. Deshalb würde er bestimmt nicht einfach weg bleiben", erklärte Ben. Heute Abend fand wieder der Selbstverteidigungskurs statt. Deshalb waren besonders die Kinder sehr unruhig,
„Dann wird er rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn zurück sein", meinte Maddy. „Werdet ihr aufhören, euch Sorgen zu machen? Es hatte jemand für Jalal angerufen, und ich habe ihm die Nachricht gegeben, als er zurückkam. Wahrscheinlich hat er sich mit demjenigen getroffen und verspätet."
Hatte derjenige einen Akzent? Die Frage ging Clio sofort durch den Sinn, aber sie biss die Zähne aufeinander und unterdrückte sie.
„Wo ist Jalal?" wollte Donnelly zum dritten Mal wissen, und Clio lächelte mitfühlend. Donnelly hatte Recht, die Familie schien nicht vollzählig ohne ihn.
Das Geräusch eines Bootsmotors ließ alle verstummen und aufhorchen. Das Boot legte an, und die Kinder lächelten erleichtert. Clio biss sich auf die Zunge, um in ihrer Freude nicht zu sehr aufzufallen.
Aber als Jalals Schritt auf der Veranda zu hören war und er durch die Tür kam, strahlte sie ebenso wie Donnelly.
„Jalal, Jalal!" rief die Kleine mit ihrer hellen Stimme, als wäre der Weltuntergang gerade noch einmal verhindert worden.
Jalal lachte, nahm wie gewohnt seinen Teller vom Tisch und holte sich seine Portion.
Alle begannen wieder zu reden. Jalal setzte sich zu ihnen an den Tisch und warf Clio einen so glühenden Blick zu, dass ihr Herz raste. Ihr Vater sagte etwas, ihre Mutter antwortete, das Leben um sie herum lief weiter. Doch Clio, obwohl sie inmitten ihrer Familie saß, fühlte eine solche Verbundenheit mit Jalal, dass sie hätte schwören können, wo immer er in den vergange nen Stunden gewesen war, es war etwas passiert, das ihm Sorgen machte.
12. KAPITEL
Nachdem sie gegessen hatten und die Spülmaschine gefüllt war, begann der Selbstverteidigungskurs.
Umringt von den Kindern warf Jalal Clio einen Blick zu. Sie gab ihm ein Zeichen mit den Wimpern, schluckte schwer und spürte, dass ihr die Hitze in die Wangen stieg. Als sie erneut einen Blick in seine Richtung ris kierte, sah sie Jalal an, dass er sich mühsam beherrschen musste.
Die Kinder verließen mit Jalal die Küche. Clio blieb mit ihren Eltern zurück. Es hätte ihr gefallen, wenn er den Kurs heute ausfallen ließe, damit sie zusammen sein konnten. Aber schließlich konnte er niemandem Selbstdisziplin beibringen, wenn er es nicht vorlebte.
Deshalb half sie ihrer Mutter in der Küche und ging anschlie ßend nach oben, um sich die Zeit zu vertreiben, bis Jalal zu ihr kommen würde.
Sie nahm ein Parfümbad, ein edles Weihnachtsgeschenk, das sie bisher nicht benutzt hatte, machte sich das Haar und lackierte ihre Nägel. Als sie dann etwas zum Anziehen suchte, stellte sie fest, dass ihre Garderobe eine Lücke aufwies, die ihr bislang nicht aufgefallen war. Sie besaß nicht ein einziges spitzenbesetztes, aufreizendes Nachthemd oder entsprechende Dessous. Bis auf einen meergrünen Seidenslip mit passendem Morgenmantel, den ihr ihre Eltern zum letzten Geburtstag geschenkt hatten, fand sie nichts, womit sie einen Mann hätte verführen können.
Schließlich schlüpfte sie in eines von Judes abgelegten Hemden. Es war apricotfarben, ein bisschen verwaschen und wunderbar weich. Darunter hatte sie nichts an. Allein bei dem Gedanken, dass er bald hier sein würde, schlug ihr Puls schneller. Kurz darauf hörte sie seine leichten Schritte auf der Treppe, und als er bei ihr anklopfte, machte ihr Herz einen Satz.
Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, einen Ellenbogen aufgestützt, ein Buch vor sich, in dem sie kein Wort hatte lesen können. Der Raum war in Dämmerlicht gehüllt, und leise Bluesmusik kam vom CD-Spieler. Die Balkontüren waren geöffnet, und eine laue Brise wehte herein.
Jalal stand einen Augenblick lang da und schaute sie nur an. Tagsüber war er gekleidet wie sie alle, doch abends trug er einen mit orientalischen Mustern bedruckten Umhang aus flie ßender Baumwolle, vorn offen, über einer weiten Hose, die in der Taille gebunden wurde. Er
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